AUSTRALIEN
Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Australien ist ein föderal organisierter Staat, der in sechs Bundesstaaten, drei Territorien und sieben Außengebiete unterteilt ist.
Bundesebene
In Artikel 116 der australischen Verfassung von 1901 (1985 überarbeitet)[1] heißt es: „Dem Commonwealth ist es untersagt, Gesetze zu erlassen, die eine Religion zur Staatsreligion erklären, den Bürgern religiöse Pflichten auferlegen oder die freie Glaubensausübung verbieten. Ein religiöser Bekenntnisakt darf nicht zur Bedingung für den Antritt eines Amtes oder einer öffentlichen Vertrauensstellung im Commonwealth gemacht werden.“
Dieser Artikel wird vom höchsten Gericht Australiens eng ausgelegt. Nach seiner Rechtsprechung ist ein Eingriff in die Religionsfreiheit nur dann verfassungswidrig, wenn damit ein Ziel verfolgt wird, das gegen Artikel 116 verstößt.[2] Dieser Artikel bezieht sich nicht auf die von den Bundesstaaten erlassenen Gesetze, sondern nur auf Bundesgesetze. Die Souveränität der einzelnen Bundesstaaten geht so weit, dass sie in Bezug auf die Religionsfreiheit eigene Gesetze erlassen können. Theoretisch könnten sie auch Gesetze erlassen, die das Recht auf Religionsfreiheit einschränken.[3] Viele der gesetzlichen Regelungen, die sich negativ auf die Religionsfreiheit auswirken, sind auf bundesstaatlicher Ebene zu finden.
Des Weiteren regelt das Arbeitsgesetz auf Bundesebene, dass kein Beschäftigter oder Stellenbewerber unter anderem aufgrund seiner Religion diskriminiert werden darf.[4]
Auch die Antidiskriminierungsgesetze enthalten Regelungen (so genannte Ausgleichsklauseln), die der Religionsfreiheit dienen. Das 1984 erlassene Gesetz zum Verbot der sexuellen Diskriminierung, Paragraf 37, Absatz 1 (d) untersagt zum Beispiel die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität, des Familienstands, des Beziehungsstatus oder einer Schwangerschaft. Zugleich sieht es Ausnahmen für die Priesterweihe oder die Ernennung von Geistlichen und für sonstige Handlungen vor, die mit der Lehre, den Grundsätzen oder den Überzeugungen der betreffenden Glaubensrichtung im Einklang stehen oder die notwendig sind, um die religiösen Gefühle der Anhänger der betreffenden Glaubensrichtung nicht zu verletzen.[5] Glaubensgemeinschaften müssen sich nicht behördlich registrieren lassen. Wenn sie aber von Steuervergünstigungen profitieren wollen, müssen sie sich bei der Australian Charities and Not-for-Profits Commission, ACNC (Australische Behörde für Wohltätigkeitsorganisationen und gemeinnützige Organisationen) anmelden und bei der australischen Steuerbehörde einen entsprechenden Antrag stellen.[6]
Die Bildungspolitik ist Sache des Bundes, der Bundesstaaten und der Territorien. Allgemeiner Religionsunterricht, der die Weltreligionen abdeckt, darf uneingeschränkt erteilt werden. Religionsunterricht, der sich auf eine anerkannte Glaubensrichtung bezieht, ist dagegen nur in einigen Gebieten erlaubt, zum Teil auch im Rahmen des regulären Unterrichts.[7]
Ebene der Bundesstaaten und Territorien
Auch jeder einzelne Bundesstaat schützt die Religionsfreiheit durch drei unterschiedliche legislative Maßnahmen, welche die auf Bundesebene getroffenen Regelungen widerspiegeln.
Erstens in einer Verfassung oder Grundrechtecharta,[8] die das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit festschreibt. Allein aufgrund einer solchen Charta lassen sich jedoch keine Rechte durchsetzen. Sie dient vielmehr als Interpretationshilfe für weitere Rechtsvorschriften und für die Feststellung von Verstößen.
Zweitens durch Rechtsvorschriften, welche die Diskriminierung aufgrund des Glaubens oder der Glaubensausübung verbieten. Außer South Australia und New South Wales haben alle Bundesstaaten und Territorien in ihren Antidiskriminierungsgesetzen das Recht auf Religionsfreiheit verankert.[9]
Drittens durch Ausnahmen in den Antidiskriminierungsgesetzen, die ähnlich wie die auf Bundesebene funktionieren.
Diese Regelungen legen nahe, dass die Religionsfreiheit in Australien hinreichend geschützt ist. In der Praxis sind die einzelnen Bundesstaaten jedoch in der Lage, das Recht auf Religionsfreiheit durch eigene Gesetze zu unterlaufen.
In einigen Bundesstaaten und Territorien sind Pflegeheime in kirchlicher Trägerschaft zum Beispiel verpflichtet, trotz religiöser Vorbehalte der Glaubensgemeinschaft oder einzelner Mitarbeitenden Sterbehilfe und assistierten Suizid in ihren Einrichtungen zuzulassen.[10] Gleiches gilt für Mediziner, die eine Abtreibung aus religiösen Gründen ablehnen. Sie sind in einigen Bundesstaaten verpflichtet, eine Frau, die eine Abtreibung vornehmen lassen möchte, an einen Arzt zu überweisen, der die Abtreibung durchführt.[11] Darüber hinaus wirkt sich das im Bundesstaat Victoria 2021 erlassene Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen einschränkend auf die Religionsfreiheit aus, da es Glaubensgemeinschaften untersagt, LGBTQ+ Personen zu unterrichten, ihnen beizustehen und den Glauben zu praktizieren, wie etwa zu beten.[12]
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Religionsfeindliche Vorfälle
Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist in Australien ein deutlicher Anstieg der antisemitischen Anschläge zu verzeichnen. Nach Angaben der jüdischen Dachorganisation Executive Council of Australian Jewry (ECAJ) nahmen die gegen Juden gerichteten Vorfälle in den zwölf Monaten zum 30. September 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 316 % zu.[13] Dabei kam es zu Körperverletzungen, Vandalismus, Schändungen, Hassbotschaften und Schmierereien. Bei einer Großveranstaltung vor dem Opernhaus von Sydney wurden zum Beispiel judenfeindliche Parolen gerufen.[14] In Melbourne wurde eine Synagoge durch einen Brandanschlag zerstört.[15] Zugleich verzeichnete das Islamophobie-Register Australiens (IRA) seit dem Überfall am 7. Oktober 2023 eine massive Zunahme der islamfeindlichen Vorfälle um das 13-Fache.[16] Im Islamophobia in Australia Report 2023-2024 heißt es unter anderem, dass Menschen in traditioneller muslimischer Kleidung körperlich angegriffen, bespuckt und beleidigt wurden und dass eine Moschee mit Exkrementen beschmiert wurde.[17]
Legislative Maßnahmen
Im April 2023 verabschiedete das Australian Capital Territory, ACT (Regierung des Australischen Hauptstadtterritoriums) ein Gesetz, das die Übernahme des Calvary Hospital vorsah, das bis dahin als einziges katholisches Krankenhaus im ACT von den Schwestern der Kleinen Gesellschaft Mariens betrieben worden war.[18] Das Gesetz ermöglichte eine Zwangsübernahme des Krankenhauses einschließlich Grundeigentum, Gebäuden, Betriebseinrichtung und der 1.800 Beschäftigten. Zwar wurde behauptet, dass die Übernahme nicht mit der katholischen Trägerschaft im Zusammenhang gestanden habe, aber knapp einen Monat zuvor hatte es die australische Regierung in einer Untersuchung über die Abtreibungsangebote im Land für problematisch befunden, dass eines der bedeutendsten Krankenhäuser im ACT aufgrund einer übergeordneten religiösen Ethik nicht das volle Leistungsspektrum abdeckt. Sie hatte der Regierung des ACT empfohlen, sich hinsichtlich der Erbringung von medizinischen Leistungen aus der ethisch bedenklichen Abhängigkeit von den Schwestern der Kleinen Gesellschaft Mariens zu befreien.[19]
Gesetzesvorhaben
Regelungen in den Antidiskriminierungsgesetzen, die die Religionsfreiheit und insbesondere den Betrieb von konfessionsgebundenen Schulen betreffen, werden seit Langem in Frage gestellt, weil sie, so die Wahrnehmung, bestimmte Glaubensgemeinschaften bevorzugen und bestimmte Mitarbeiter und Schüler benachteiligen.
Die Labor-Regierung wirkt auf Bundesebene darauf hin, dass an konfessionsgebundenen Schulen kein Mitarbeiter und kein Schüler aufgrund seiner sexuellen Orientierung, seiner geschlechtlichen Identität, seines Familienstands, seines Beziehungsstatus oder einer Schwangerschaft diskriminiert wird. Konfessionsgebundenen Bildungseinrichtungen soll es aber zum weiteren Aufbau der Glaubensgemeinschaft erlaubt sein, Bewerbern desselben Glaubens in Einstellungsverfahren den Vorzug zu geben.[20] Die Regierung beauftragte daher die Australian Law Reform Commission, ALRC (Behörde für Rechtsreformvorschläge), entsprechende Gesetzesreformen zu erarbeiten.
Die ALRC empfahl die Aufhebung aller Ausnahmeregelungen für konfessionsgebundene Bildungseinrichtungen, die in den Antidiskriminierungsgesetzen des Bundes enthalten sind.[21] Sollten diese Empfehlungen umgesetzt werden, können konfessionsgebundene Bildungseinrichtungen künftig nicht mehr von Mitarbeitern und Freiwilligen verlangen, dass sie sich im Einklang mit dem religiösen Grundwerten der Schule verhalten, auch wenn sie sich nicht zu dem Glauben der Einrichtung bekennen. Außerdem könnten dann konfessionsgebundene Bildungseinrichtungen daran gehindert werden, ihre religiösen Lehren zu Ehe, Geschlecht und Sexualität zu vermitteln oder entsprechende Verhaltensregeln für Schüler aufzustellen, weil sie wegen Diskriminierung verklagt werden könnten.
Die Bundesregierung hat noch nicht auf die Empfehlungen der ALRC reagiert. Außerdem hat sie den lange umstrittenen Entwurf eines Gesetzes zurückgestellt, das die Diskriminierung aufgrund des Glaubens in Bereichen außerhalb des Beschäftigungsverhältnisses untersagen würde.
Des Weiteren plant die Bundesregierung die Änderung bestehender Rechtsvorschriften, die bestimmte Bevölkerungsgruppen (unter anderen aufgrund ihrer Religion) gegen Verleumdung und Gewalt schützen sollen. Sie sollen sich künftig auch auf Menschen beziehen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer Intersexualität gefährdet sind.[22] Diese Maßnahmen werden allgemein so gewertet, dass sie der Religionsfreiheit zugutekommen. Es gibt jedoch auch Bedenken, dass eine Ausweitung dieser Vorschriften sich negativ auf die Äußerung der religiösen Überzeugungen auswirken könnte.[23] Der Senat empfiehlt die Umsetzung des Gesetzentwurfs,[24] die aber noch nicht erfolgt ist.
Davon unabhängig empfahl die staatliche Produktivitätskommission in ihrem Bericht über gemeinnützige Organisationen, dass die Unterstützung der meisten gemeinnützigen Aktivitäten steuerlich begünstigt werden sollte, dass aber gemeinnützige Organisationen, die religiöse Ziele verfolgen, und einige Organisationen, die in der Altenpflege und in der Bildung tätig sind, davon ausgenommen werden sollten.[25] Sollte die Empfehlung umgesetzt werden, werden religiöse Hilfsorganisationen künftig weniger Spenden erhalten.
Die Frage, wie die Bundesregierung auf die laufende Überprüfung[26] der Antidiskriminierungsgesetze von New South Wales durch die dortige Reformkommission (NSWLRC) reagieren wird, könnte sich in dem Bundesstaat auf die Religionsfreiheit auswirken. Es ist aber ungewiss, wann die Überprüfung abgeschlossen sein wird.
Im Mai 2024 empfahl der Parlamentsausschuss für Menschenrechte (PJCHR) dem Parlament des Bundes, ein Gesetz über Menschenrechte für Australien zu erlassen.[27] Das Modellgesetz, das von der australischen Menschenrechtskommission (AHRC) vorgelegt wurde, schützt die Religionsfreiheit nicht in dem Maße, wie es gemäß dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte erforderlich wäre.[28] Das Modellgesetz würde Einschränkungen zulassen, die in einer „freien demokratischen Gesellschaft, die auf Menschenwürde, Gleichheit und Freiheit basiert, als angemessen und nachweislich gerechtfertigt“ angesehen werden.[29] Es hätte keine Auswirkungen auf bundesstaatliche Gesetze, die die Religionsfreiheit einschränken.[30]
Vorfälle im Zusammenhang mit religiösen Äußerungen
Es gab verschiedene Versuche, religiös motivierte Äußerungen insbesondere im Zusammenhang mit Ehe, Sexualität und Geschlecht einzudämmen. Im Mai 2024 sah sich der bekannte christliche Verfechter der Keuschheit, Jason Evert, nach Beschwerden von Eltern und Schülern gezwungen, einen Vortrag, den er in einer katholischen Schule halten wollte, schließlich als optionalen Online-Vortrag anzubieten.[31] 2023 wies das Queensland Civil and Administrative Tribunal (Zivil- und Verwaltungsgericht von Queensland) als zuständiges Gericht nach einem dreijährigen Verfahren die Klage gegen den prominenten christlichen Aktivisten Lyle Shelton ab. Eine LGBTQ+ Gruppe hatte die Klage mit juristischer Unterstützung einer bundesstaatlichen Stelle eingereicht. Die Kläger warfen Shelton vor, er verstoße gegen das gesetzliche Verleumdungsverbot, indem er in seinem Blog Drag Queens als „gefährliche Vorbilder“ bezeichnete, die Kindern nicht vorlesen sollten.[32] Die Gruppe hat nun gegen das Urteil Berufung eingelegt, so dass der Rechtsstreit weitergeht. In Tasmanien wurde im Juni 2024 eine parlamentarische Untersuchung zu Diskriminierung und Mobbing an Schulen eingeleitet, nachdem ein Hirtenschreiben des Erzbischofs von Hobart, Julian Charles Porteous, über die Lehre der Kirche zum Thema Ehe, Transsexualität und Wokeness an katholischen Schulen verbreitet worden war.[33] Im April 2024 musste eine bekannte Netball-Spielerin öffentlich um Entschuldigung bitten und einen „Inklusionskurs“ absolvieren, nachdem sie öffentlich kritisiert hatte, dass der Transgender Day of Visibility auf den Ostersonntag fiel.[34]
Perspektiven für die Religionsfreiheit
In Anbetracht mehrerer laufender Gesetzesinitiativen auf der Ebene des Bundes und der Bundesstaaten, die erhebliche Auswirkungen haben können, bleiben die Aussichten für die Religionsfreiheit in Australien ungewiss. Am 3. Mai 2025 fanden auf Bundesebene Parlamentswahlen statt, deren Ergebnisse zweifellos Auswirkungen auf die Gesetzgebung im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit haben werden. Trotz einiger grundlegender Schwächen in der Gesetzgebung, insbesondere auf bundesstaatlicher Ebene, müssen Gläubige in Australien allgemein nicht mit einer zunehmenden Einschränkung ihres Rechts auf Religionsfreiheit rechnen.
Quellen