Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Vier Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung verabschiedete die Nationalversammlung Eritreas 1997 die Verfassung des Landes. In Artikel 19 Absatz 1 heißt es: „Jeder Mensch hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Glaubensfreiheit.“ Artikel 19 Absatz 4 besagt außerdem: „Jeder Mensch hat das Recht, seinen Glauben frei auszuüben und zu bekunden.“[1]
Die Verfassung trat jedoch nie in Kraft. Das Land wird per Dekret regiert. Laut einem Dekret aus dem Jahr 2002 erkennt die Regierung lediglich vier Glaubensgemeinschaften an: die Eritreisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche Eritreas, die Katholische Kirche und den sunnitischen Islam.[2] Alle anderen Glaubensrichtungen sind verboten.[3] Die anerkannten Glaubensgemeinschaften können sich nur innerhalb bestimmter Grenzen betätigen.[4]
Trotz der formellen Trennung von Staat und Religion übt die Regierungspartei People’s Front for Democracy and Justice (Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit) eine strenge Kontrolle über alle anerkannten Glaubensgemeinschaften aus. Die Regierung beaufsichtigt die christlichen Kirchen und die Gemeinschaft der Muslime, ernennt die geistlichen Oberhäupter der Muslime und der orthodoxen Kirche, und sie kontrolliert die Gehaltszahlungen und Kraftstoffzuteilungen der orthodoxen Geistlichen ebenso wie ihre Aktivitäten und Finanzen. Die Katholische und die Lutherische Kirche haben sich dagegen eine gewisse Selbständigkeit bewahrt. Christliche Minderheiten wie die Pfingstler und Zeugen Jehovas und als „radikal“ geltende Muslime wie die Wahhabiten können ihrem Glauben nur unter massiven Einschränkungen nachgehen. Orthodoxe, katholische, lutherische und sunnitische Geistliche stehen gleichermaßen unter der Aufsicht des Staates, wobei die orthodoxen Christen der ethnischen Gemeinschaft der Tigrinya besonders in der Gunst des Regimes stehen. Den als regierungskritisch geltenden Muslimen ist die Staatsführung weniger gesonnen.[5]
Religiösen Medien und Geistlichen ist es nicht erlaubt, in politischen Angelegenheiten Stellung zu beziehen. Die Behörde für Religiöse Angelegenheiten erinnert die Geistlichen jährlich an dieses Verbot, das im 1995 erlassenen Dekret Nr. 73 über religiöse Organisationen festgeschrieben ist.[6] Darin ist auch festgelegt, dass Kirchen, die sich sozial engagieren wollen, die Maßnahmen der eritreischen Regierung unterstützen müssen und nicht im Auftrag ausländischer Regierungen handeln dürfen. Außerdem müssen sie den Behörden die Möglichkeit zur Prüfung der aus dem Ausland erhaltenen Finanzmittel geben.[7]
Das Registrierungsverfahren für nicht anerkannte Glaubensgemeinschaften ist so komplex, dass seit 2002 keine neuen Gemeinschaften zugelassen wurden. Die Bahai, die seit 1959 jährlich einen Antrag stellen, hat das Regime de facto anerkannt.[8] Nicht registrierte Gemeinschaften sind der Willkür der Behörden ausgesetzt.
Das Strafgesetzbuch Eritreas aus dem Jahr 2015 untersagt es, Glaubensgemeinschaften und ethnische Gruppen zu verleumden oder zu beeinflussen (Paragraf 195) und religiöse oder ethnische Gefühle zu verletzen (Paragraf 196). Das ebenfalls geltende Verbot „rechtswidriger Versammlungen“ hat massive Auswirkungen auf die Religionsfreiheit. Gemäß Paragraf 195 können die absichtliche öffentliche Verunglimpfung von Zeremonien und Riten einer anerkannten Glaubensgemeinschaft oder das Schänden von Kultstätten und Kultgegenständen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwölf Monaten geahndet werden. Ebenso bestraft wird, wer einen Gottesdienst oder eine religiöse Versammlung stört oder zu stören versucht.[9]
Laut dem Dekret Nr. 82/1995 sind alle Bürger Eritreas im Alter von 18 bis 50 Jahren verpflichtet, einen Militär- oder zivilen Ersatzdienst zu leisten. Die Dienstpflicht ist in Paragraf 6 geregelt. Paragraf 8 sieht eine sechsmonatige militärische Ausbildung vor, an die sich ein zwölfmonatiger Militärdienst oder ein ziviler Ersatzdienst anschließt. Laut Paragraf 18 ist das Verteidigungsministerium befugt, den Dienst bei Bedarf über 18 Monate hinaus zu verlängern. Diese Bestimmung führt dazu, dass viele Soldaten jahrelang auf ihre Entlassung warten, eine Praxis, die international als Zwangsarbeit verurteilt wird.[10]
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und Human Rights Watch bezeichnen die Zustände als „sklavenähnliche“ Zwangsarbeit.[11] Der offiziell 18 Monate dauernde Militärdienst wird für viele um mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte verlängert, im Durchschnitt um sechs bis zwölf Jahre. Eritrea ist nicht Vertragspartei des Abkommens über die Einstellung der Feindseligkeiten, das im November 2022 zwischen Äthiopien und der Tigrayer Volksbefreiungsfront geschlossen wurde. So sind die Streitkräfte Eritreas in Tigray weiterhin aktiv. Von Mitte 2022 bis Anfang 2023 nahmen die Behörden landesweit angebliche Wehrdienstverweigerer ins Visier, darunter auch Frauen und Kinder. Diejenigen, die den Militärdienst aus politischen oder religiösen Gründen oder aus Gewissensgründen verweigern, müssen mit willkürlichen Festnahmen, Folter, Vertreibung und Haftstrafen rechnen.[12]
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Seit Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1993 wird Eritrea von Präsident Isaias Afwerki und der einzigen legalen Partei im Land, der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit, mit eiserner Hand regiert. Die Menschenrechtsorganisation Freedom House beschreibt Eritrea als einen militarisierten autoritären Staat, in dem keine nationalen Wahlen stattfinden, es keine unabhängigen zivilgesellschaftlichen Kräfte gibt und willkürliche Festnahmen an der Tagesordnung sind.[13] Bürgerliche und politische Rechte, einschließlich der Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit, werden unterdrückt.[14]
Berichten zufolge werden Personen, die an nicht genehmigten religiösen Versammlungen teilnehmen, oftmals ohne formelle Anschuldigung oder offizielle Erklärung festgenommen. Gefangene müssen zumeist ohne Gerichtsverfahren, ohne medizinische Versorgung und ohne Kontakt zur Außenwelt lange unter menschenunwürdigen Haftbedingungen ausharren. Folter und Zwangsarbeit sind offenbar weit verbreitet.[15]
Der Regierung Eritreas werden schwere Verstöße gegen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit vorgeworfen. Sie hält in einem weit verzweigten Netz aus Einrichtungen Menschen fest, darunter Polizeistationen, Militär- und Zivilgefängnisse und geheime Orte. Gefangene sind schweren körperlichen Misshandlungen ausgesetzt, erhalten keine medizinische Versorgung und werden unter Druck gesetzt, ihrem Glauben abzuschwören. Religiöse Praktiken wie Beten, Singen, Predigen und der Besitz von religiösen Schriften sind verboten. Viele Gefängnisse sind überfüllt. Es herrschen menschenunwürdige Bedingungen. Gefangene werden in verwahrlosten Gebäuden, Frachtcontainern oder unterirdischen Zellen untergebracht. Die Hafteinrichtung Mai Serwa in der Nähe von Asmara, die wegen extremer Überfüllung berüchtigt ist, ist ein Beispiel für die systematische Misshandlung von Gefangenen, die aus religiösen Gründen in Eritrea festgehalten werden.[16]
Im Februar 2023 wurde der orthodoxe Mönch Yeneta Ezra unter ungeklärten Umständen getötet. Er war ein Unterstützer des 2022 verstorbenen Bischofs Abune Antonios, der mehr als 15 Jahre im Hausarrest verbracht hatte, weil er sich gegen die staatliche Einmischung in Kirchenangelegenheiten aufgelehnt hatte.[17]
Im Jahr 2023 verschärfte die eritreische Regierung ihr Vorgehen gegen soziale Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft und schloss 21 Gesundheitszentren, die überwiegend von der Katholischen Kirche betrieben worden waren. Diese Einrichtungen, die in unterversorgten ländlichen Gebieten angesiedelt waren, hatten lange Zeit wichtige Aufgaben in den Bereichen Geburtshilfe, Bildung und Waisenfürsorge übernommen. Einschließlich der schon zuvor erfolgten Schließungen erhöhte sich die Gesamtzahl der Schließungen damit auf 29.[18] In London hielten eritreische Katholiken im November 2024 eine Mahnwache ab, um gegen die Schließungen zu protestieren und ihre Solidarität mit der humanitären Arbeit der Kirche zum Ausdruck zu bringen.[19]
Von Januar bis April 2023 wurden 177 Anhänger nicht registrierter christlicher Glaubensgemeinschaften bei Gottesdiensten oder Musikaufnahmen in Privatwohnungen festgenommen.[20]
Im März 2023 wurden neun Christen nach annähernd neun Jahren aus dem Gefängnis entlassen, darunter auch Pastor Abenet Yemane.[21]
Am 9. April 2023 verstarb der Gründer der Meserete-Kristos-Kirche, Tesfay Seyoum, nach zehn Jahren Haft an einer Gehirnblutung. Berichten zufolge hinderten die Behörden seine Familie daran, ihn an dem von ihnen gewählten Ort zu begraben, so dass sein Leichnam mehrere Tage lang unbestattet blieb.[22]
Im April 2023 wurden 95 junge Sängerinnen und Sänger des Mahalian Kirchenchors festgenommen, nachdem sie in der Hauptstadt Asmara ein Video aufgenommen hatten. Im September 2023 kamen die meisten von ihnen wieder frei. Fünfzehn junge Chormitglieder waren im Februar 2025 immer noch in Haft. Nach ihrer Festnahme wurden sie teils unter Folter dazu gedrängt, sich schriftlich zu verpflichten, künftig an keinen christlichen Versammlungen mehr teilzunehmen.[23]
Im Juli 2023 kamen 300 Gefangene wieder frei, die 2017 bei Protesten an einer Islamschule festgenommen worden waren.[24]
Im Januar 2024 veröffentlichte die Washington Post einen ausführlichen Bericht über die menschenunwürdigen Bedingungen in den Gefängnissen des Landes. Darin berichteten 42 ehemalige eritreische Gefangene von überfüllten unterirdischen Zellen, Metallcontainern und Verliesen, in denen die Insassen sich nur abwechselnd zum Schlafen hinlegen konnten. Sie wurden überwiegend ohne Anklage festgehalten, gefoltert und nicht medizinisch versorgt. Viele saßen in Haft, weil sie den Militärdienst verweigert hatten. Die ehemaligen Gefangenen berichteten auch von Schlägen, erzwungenen Geständnissen und Tod durch Ersticken.[25]
Am 20. Januar 2024 wurden 30 Erwachsene sowie mehrere Kinder bei der Feier des ersten Geburtstags eines Erstgeborenen der christlichen Familie festgenommen.[26]
Im Mai 2024 starb Rev. Ghirmay Araya, nachdem er mehr als drei Jahre in einem Hochsicherheitsgefängnis eingesessen hatte.[27] Der Geistliche der Full Gospel Church war im Juli 2021 zusammen mit seinem Kollegen Rev. Samuel Okbamichael verhaftet worden.[28]
Im Zeitraum von August 2023 bis Juli 2024 wurden in Eritrea 218 Christen festgenommen, darunter viele Frauen und Kinder.[29]
Im Dezember 2024 stürmten Sicherheitskräfte ein Privathaus, in dem sich 27 Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 16 Jahren zum Gebet versammelt hatten. Razzien dieser Art gehen häufig auf Anzeigen von Nachbarn zurück. Die Jugendlichen wurden zunächst auf einer örtlichen Polizeiwache festgehalten und dann in das Mai-Serwa-Gefängnis gebracht, das als Langzeit-Haftanstalt bekannt ist.[30]
Im Mai 2025 befanden sich 64 Zeugen Jehovas in eritreischen Gefängnissen.[31] Sie kamen überwiegend in Haft, weil sie den Militärdienst verweigert hatten. Zudem werden Zeugen Jehovas systematisch vom Staatsdienst ausgeschlossen. Sie erhalten keine Sozialleistungen und dürfen nicht auf Bankkonten zugreifen.[32] Im September 2024 lösten Sicherheitskräfte eine friedliche Versammlung von Zeugen Jehovas in einem Privathaus auf und nahmen 24 Personen fest. Zwei Minderjährige kamen später wieder frei, aber Tage später wurde nochmals ein 85-Jähriger verhaftet. Alle Gefangenen wurden in das Mai-Serwa-Gefängnis gebracht. Am 7. Dezember 2024 wurde die im neunten Monat schwangere Saron Ghebru und am 15. Januar 2025 der 82-jährige Mizan Gebreyesus aus der Haft entlassen.[33]
Im November 2024 wurden vier Zeugen Jehovas im Alter von 16 bis 18 Jahren verhaftet und nach Mai Serwa gebracht. Kurz darauf wurde die Zeugin Jehovas Almaz Gebrehiwot inhaftiert und wird seither in der 5. Polizeiwache in Asmara festgehalten. Zwei Frauen kamen Anfang 2025 frei: Mikal Taddesse wurde am 25. Februar aus dem Mai-Serwa-Gefängnis und Berekti Gebretatyos am 12. März aus dem Adi-Abeto-Gefängnis entlassen.[34]
Im Berichtszeitraum verurteilten die Vereinten Nationen mehrfach die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Eritrea, insbesondere auch Verstöße gegen die Religionsfreiheit, und forderten ein sofortiges Ende der Missstände. In seinem Bericht vom Mai 2023 dokumentierte der UN-Sonderberichterstatter für Eritrea, Mohamed Abdelsalam Babiker, die Unterdrückung der Glaubensausübung und das gezielte Vorgehen gegen Geistliche von staatlich anerkannten Glaubensgemeinschaften. Katholische Geistliche, die sich kritisch zu Menschenrechtsverletzungen äußern, versucht die Regierung zum Schweigen zu bringen. Im Oktober 2022 wurden zum Beispiel drei katholische Priester verhaftet. Auch orthodoxe Christen sind der Verfolgung ausgesetzt. Mindestens 44 Mönche, Anhänger des verstorbenen Patriarchen Abune Antonios, wurden im April 2023 festgenommen.
Im Juni 2024 erklärte Babiker gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat, dass die Menschenrechtslage in Eritrea nach wie vor prekär sei. Er berichtete von willkürlichen Verhaftungen, Isolationshaft, Verschwindenlassen von Personen und über den unbefristeten Militärdienst, der mit Zwangsarbeit gleichzusetzen ist und oftmals mit Folter und menschenunwürdiger Behandlung einhergeht. Grundlegende Freiheitsrechte wie die Religionsfreiheit werden immer stärker unterdrückt. Bekannte Geistliche werden für Jahrzehnte eingesperrt und der Staat greift massiv in die Angelegenheiten religiöser Einrichtungen ein. Der Sonderberichterstatter weist auch auf die weit verbreitete Praxis hin, dass Häftlingen ein ordnungsgemäßes Verfahren vorenthalten wird. Dies gilt auch für viele Geistliche, Menschenrechtsaktivisten und Regimekritiker. Das öffentliche Leben sei vollständig zum Erliegen gekommen. Babiker forderte die eritreischen Behörden nachdrücklich auf, die Missstände zu beenden, die Empfehlungen des Menschenrechtsrats umzusetzen und Rechenschaft abzulegen. Und er forderte Gerechtigkeit für die Opfer.[35]
Einem Bericht der US-Kommission für Internationale Religionsfreiheit (USCIRF) zufolge waren im Mai 2025 mehr als 350 Christen in eritreischen Gefängnissen in Haft. Mehr als 80 davon waren in den ersten fünf Monaten des Jahres festgenommen worden. Wie es in dem USCIRF-Bericht hieß, werden schätzungsweise 10.000 politische Gefangene in landesweit mehr als 300 Haftanstalten festgehalten.[36] Meldungen von Release International bestätigen diese Zahlen.[37]
Beim US-Außenministerium steht Eritrea seit 2004 auf der Liste der Länder, in denen das Recht auf Religionsfreiheit besonders gefährdet ist.[38]
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Eritrea ist nach wie vor ein autoritärer Staat, in dem es praktisch keine politische Teilhabe gibt und die bürgerlichen Freiheitsrechte wie das Recht auf Meinungs- und auf Religionsfreiheit systematisch missachtet werden. Weiterhin fliehen viele Eritreer ins Ausland. Die Lage der Religionsfreiheit bleibt überaus prekär.
Quellen