INDONESIEN
Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Obwohl Indonesien das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt ist, handelt es sich nicht um einen islamischen Staat. Die Verfassung des Landes garantiert Religionsfreiheit und das Recht auf freie Religionsausübung; es gibt jedoch einige Einschränkungen, wenn es darum geht, die Rechte anderer zu schützen. Die offizielle staatliche Ideologie heißt „Pancasila“ („Fünf Prinzipien“). In der Präambel der Verfassung wird sie definiert als „Glauben an die All-Eine Göttliche Herrschaft; eine gerechte und zivilisierte Menschheit; die nationale Einheit und ein demokratisches Leben durch weise Überlegungen der Volksvertreter sowie soziale Gerechtigkeit für alle Menschen in Indonesien“.[1] Die Verfassung schreibt keine bestimmte Religion vor, verlangt jedoch von den Menschen, an eine Gottheit zu glauben, und schützt die Rechte der Anhänger der sechs offiziell anerkannten Religionen: Islam, Protestantismus, Katholizismus, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Die Rechte von Anhängern anderer Religionsgemeinschaften, darunter örtliche traditionelle Glaubensrichtungen sowie Agnostiker und Atheisten, werden nicht in gleicher Weise geschützt.
Indonesien vollzieht die Scharia (islamisches Recht) nicht auf nationaler Ebene. Es wird jedoch geschätzt, dass es in 52 der 470 Bezirke und Kommunen Indonesiens mindestens 78 durch die Scharia inspirierte Vorschriften gibt.[2] Unterschiedliche Quellen behaupten, dass die reale Zahl höher liege durch allein 151 lokale Scharia-Verordnungen in Java, Sulawesi, Sumatra und West-Nusa-Tenggara.[3]
Gemäß Artikel 28E (1) der Verfassung ist „jede Person frei, sich für eine Religion ihrer Wahl zu entscheiden und diese auszuüben“. Artikel 28E (2) betont, dass „jede Person das Recht hat, frei an ihre Religion (Kepercayaan) zu glauben und ihre Sichtweisen und Gedanken im Einklang mit ihrem Gewissen zum Ausdruck zu bringen“. Artikel 29 (2) bekräftigt: „Der Staat garantiert allen Menschen Religionsfreiheit im Sinne ihrer eigenen Religion oder ihres eigenen Glaubens.“
1965 unterzeichnete der damalige Präsident Sukarno den Präsidialerlass Nr. 1/PNPS/1965 zur Verhinderung von Blasphemie und Missbrauch von Religionen, der inoffiziell als „Blasphemie-Gesetz“ bekannt wurde. Artikel 1 dieses Erlasses, der von Sukarnos Nachfolger, Präsident Suharto (im Amt von 1967 bis 1998), umgesetzt wurde, verbietet jegliche „von grundlegenden religiösen Lehren abweichende“ Interpretationen oder Handlungen[4] und fordert, dass der Präsident Organisationen auflöst, die „abweichende“ Lehren verbreiten.[5]
Im Rahmen ihrer Politik zur Bekämpfung solcher abweichenden Lehren veröffentlichte die der indonesischen Generalstaatsanwaltschaft unterstellte Koordinierungsstelle zur Überwachung indigener Glaubensrichtungen (Bakor Pakem)[6] [7] Ende 2018 eine mobile App. Die „Smart Pakem“ genannte Anwendung ermöglicht es Nutzern, „abweichende“ religiöse Praktiken bei den Behörden zu melden.[8] In Zusammenhang mit abweichenden Praktiken wurden insbesondere der schiitische Islam sowie der Gatafar- und der Ahmadiyya-Islam genannt.[9]
1969 gaben das Ministerium für Religionsangelegenheiten und das Innenministerium einen gemeinsamen Ministerialerlass heraus, in dem die Genehmigungsverfahren für den Bau von Gotteshäusern ausführlich beschrieben wurden. 2004 beauftragte der damalige Präsident Susilo Bambang Yudhoyono den Minister für Religionsangelegenheiten mit der Überprüfung des Erlasses von 1969. Dies führte zum Gemeinsamen Erlass Nr. 8 und 9/2006 über die „Richtlinien für Regionalleiter und -stellvertreter zur Aufrechterhaltung religiöser Eintracht“.[10]
Gemäß den Vorschriften ist die Zustimmung der örtlichen Bevölkerung Voraussetzung für den Bau neuer Gotteshäuser. Außerdem müssen die Namen und Ausweise von mindestens 90 Mitgliedern der Gemeinde der neuen Gebetsstätte, die von den lokalen Behörden zu genehmigen sind, eingereicht werden. Zudem sind vom Dorfvorsteher genehmigte Unterstützungsschreiben von mindestens 60 andersgläubigen Mitgliedern der lokalen Gemeinschaft vorzulegen. Kritikern zufolge könnte der Erlass zu einer Verschärfung der interreligiösen Konflikte beitragen, da es schwer vorstellbar sei, dass beispielsweise eine christliche Minderheit die Zustimmung für den Bau einer Kirche von 60 örtlich ansässigen Muslimen erhalte.
Ebenso ist eine schriftliche Empfehlung der Bezirksstelle des Ministeriums für Religionsangelegenheiten und des für den Bezirk oder die Kommune zuständigen Religious Harmony Forum (Forums für Religiöse Eintracht, FKUB) erforderlich.[11] Sobald alle Unterlagen vorliegen, wird der Antrag an den Bezirksbürgermeister weitergeleitet, der dann innerhalb von 90 Tagen über diesen zu entscheiden hat.[12]
Die Vorschrift verlangt außerdem von den Behörden, das bereits erwähnte Religious Harmony Forum (Forum für Religiöse Eintracht, FKUB) einzurichten. In ihm sind lokale religiöse Oberhäupter im Verhältnis zur Mitgliederzahl ihrer Gemeinde vertreten. Das bedeutet konkret, dass das Organ entweder von Muslimen oder von Christen dominiert wird (je nach zahlenmäßiger Überlegenheit in einer bestimmten Region).[13]
Auch Gesetze für besondere Religionsgemeinschaften gibt es bereits seit einigen Jahren. Im Juni 2008 gab die Regierung einen Gemeinsamen Erlass des Ministers für Religionsangelegenheiten, des Justizministers und des Innenministers mit dem Titel „Ermahnung und Anleitung für die Jünger, Mitglieder bzw. Mitglieder des Organisationsvorstands von Jemaat Ahmadiyyah Indonesia (Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft Indonesien, JAI) und die allgemeine Öffentlichkeit“ bekannt.[14]
Der Erlass war zwar kein vollständiges Verbot, schrieb jedoch allen Ahmadis vor, „die Verbreitung von Interpretationen und Aktivitäten, die von den grundlegenden Lehren des Islam abweichen, einzustellen und damit die Verbreitung eines Glaubens, der einen Propheten und dessen Lehren als Nachfolge des Propheten Mohammed anerkennt, zu beenden“.[15]
Im August 2008 veröffentlichten der Generalsekretär des Ministeriums für Religionsangelegenheiten, der Stellvertretende Leiter des Geheimdienstes und der Generaldirektor für Nationale Einheit und Politische Angelegenheiten des Innenministeriums ein gemeinsames Rundschreiben über die „Richtlinie zur Umsetzung des Gemeinsamen Erlasses“. Darin wurde explizit erklärt, dass der Gemeinsame Erlass nur für Ahmadis gilt, die „für sich selbst beanspruchen, Muslime zu sein“, und dass „diejenigen, die diese Glaubenszugehörigkeit für sich selbst nicht beanspruchen, von dieser Ermahnung und Anordnung ausgenommen sind“.[16]
Verstöße gegen den Gemeinsamen Erlass gelten als Straftat – als Missbrauch von Religion und religiöse Verleumdung gemäß Artikel 1 (Verbot „abweichender“ Auslegungen der Religion und „abweichender“ Lehren) und Artikel 3 des Präsidialerlasses Nr. 1/PNPS/1965 über die Verhinderung von Blasphemie und Religionsmissbrauch sowie gemäß Paragraf 156 (a) des indonesischen Strafgesetzbuchs. Als Strafmaß ist eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen.
Neben dem Blasphemie-Gesetz, den Vorschriften zum Bau von Gebetsstätten und den Anti-Ahmadi-Bestimmungen wurden Hunderte von örtlichen und regionalen Gesetzen und Vorschriften erlassen, welche die Religionsausübung einschränken.
Laut dem Pew Forum zählte Indonesien in den vergangenen Jahren beständig zu den Ländern mit den umfassendsten staatlichen Beschränkungen im Bereich Religionsfreiheit, insbesondere unter den 25 bevölkerungsreichsten Nationen weltweit.[17] Laut Religious Harmony Index (KUB-Index) waren 2023 jedoch 76,02 % der Indonesier der Auffassung, tolerant gegenüber anderen Religionen eingestellt zu sein.[18] Auch 2024 war die glaubensübergreifende Toleranz laut öffentlicher Wahrnehmung positiv und erreichte mit 76,47 % einen neuen Index-Rekordwert. Laut dem stellvertretenden Minister für Religionsangelegenheiten Saiful Rahmat Basuki ist diese Entwicklung auf das Engagement des Ministeriums zurückzuführen, das Maßnahmen zur Stärkung gemäßigter religiöser Sichtweisen und Praktiken fördert und etabliert. So wurde unter anderem ein gemeinsames Sekretariat (Sekber) und eine App eingeführt, um die Umsetzung der Vorschriften zu überwachen.[19] 2025 sah sich die Bischofskonferenz allerdings nach mehreren Anschlägen auf Kirchen dazu gezwungen, die Regierung in einem Schreiben dazu aufzufordern, konsequent gegen Intoleranz vorzugehen.[20]
Dr. Musdah Mulia, die Vorsitzende der Indonesischen Religions- und Friedenskonferenz, spricht von mindestens 147 „diskriminierenden Gesetzen und öffentlichen Richtlinien im Bereich Religion“. Für sie steht fest: „Solange es derartige Gesetze gibt, wird es immer ein großes Gewaltpotenzial in der Gesellschaft geben. Gebraucht werden Reformbestrebungen sowie neue Gesetze, die den Menschenrechten sowie den Grundsätzen von Demokratie, Toleranz und Pluralismus mehr Rechnung tragen.“[21] Während einige dieser örtlichen Vorschriften lediglich nationale Gesetze umsetzen, führen andere neue restriktive Bestimmungen ein.
Im Juli 2023 untersagte der Oberste Gerichtshof per Rundschreiben richterliche Eheschließung und -eintragung, sollten die zukünftigen Eheleute unterschiedlichen Religionen angehören oder verschiedene religiöse Überzeugungen haben. Die meisten interkonfessionellen Paare umgehen dieses Verbot dadurch, dass ein Ehepartner die religiösen Eherituale seines Partners akzeptiert und den eigenen Glauben nach der Hochzeit wieder aufgreift.[22]
Im Dezember 2022 wurde in Indonesien ein neues Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt[23], welches das alte auf niederländischem Recht beruhende Gesetzeswerk, das seit der Unabhängigkeit des Landes galt, ersetzte.[24] In Bezug auf Straftaten mit religiösem Hintergrund vertreten beide Gesetzbücher ähnliche Auffassungen und sehen Strafen für Blasphemie, Häresie und religiöse Diffamierung vor. Insbesondere Paragraf 156 verhängt eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren gegen jeden, „der Feindseligkeit, Hass oder Verachtung gegen indonesische Bevölkerungsgruppen öffentlich zum Ausdruck bringt“. Die Bevölkerungsgruppen sind laut StGB durch „Ethnie, Herkunftsland, Religion, Abstammung, Nationalität oder ihren verfassungsrechtlichen Status definiert“. Paragraf 156 (a) sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren für die „Beleidigung oder Verunglimpfung einer in Indonesien praktizierten Religion“ vor.
Die Tatsache, dass außerehelicher Geschlechtsverkehr laut neuem Strafgesetzbuch als Straftat gilt, stieß in Indonesien auf Kritik. Eine strafrechtliche Verfolgung erfolgt allerdings nur auf Antrag des Ehemannes bzw. der Ehefrau, der Kinder oder Eltern. Dennoch sind von dieser neuen Regelung viele indonesische Paare betroffen, die nicht offiziell verheiratet sind. Dazu gehören zum Beispiel indigene Völker oder Muslime aus ländlichen Regionen, die nach dem islamischen Brauch „Kawin Siri“ heiraten.[25] Zudem fürchten Kritiker des neuen Gesetzes, dass weiblichen Vergewaltigungsopfern, die über ihr Erlebnis sprechen, Ehebruch vorgeworfen werden könnte.[26]
In den Jahren 2023 und 2024 äußerten zivilgesellschaftliche Organisationen Bedenken bezüglich Paragraf 302 des neuen indonesischen Strafgesetzbuches (Gesetz Nr. 1/2023), der am 2. Januar 2026 in Kraft treten soll. Mit ihm wird die öffentliche Aufforderung zur Apostasie unter Strafe gestellt. Dabei gilt als Apostasie der Abfall von einer in Indonesien anerkannten Religion. Als Strafmaß sind Haftstrafen von bis zu zwei bzw. im Fall von Nötigung oder Bedrohung von bis zu vier Jahren vorgesehen. Der vage und zweideutige Wortlaut der Bestimmung wurde vielfach kritisiert, weil damit nicht anerkannte religiöse Überzeugungen unterdrückt und pluralistische Meinungsäußerungen eingeschränkt werden könnten.[27] Rechtsexperten zufolge könnte Paragraf 302 — neben dem weiter gefassten Kapitel VII (Paragraf 300 bis 305) über religiöse Straftaten — einen sehr großen Ermessensspielraum und damit willkürliche Auslegungen und Vollstreckungen möglich machen. Es besteht daher große Sorge, dass das Gesetz von staatlicher und nichtstaatlicher Seite missbraucht werden könnte, um religiöse Minderheiten, Andersdenkende oder Verfechter des interreligiösen Dialogs zu verfolgen.[28]
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Indonesien ist ein traditionell pluralistisches Land, das in der Vergangenheit für seine religiöse Toleranz bekannt war. Allerdings sind diese Werte in den letzten Jahren zunehmend bedroht. Laut Jahresbericht 2023 der United States Commission on International Religious Freedom (US-Kommission für internationale Religionsfreiheit, USCIRF) wird angesichts von Blasphemie-Vorwürfen und -Verurteilungen die „Religionsfreiheit in Indonesien dauerhaft verletzt“.[29] Deshalb empfahl die Behörde dem US-Außenministerium, Indonesien wegen „schwerer Verstöße gegen die Religionsfreiheit oder ihrer Duldung“ auf seine Special Watch List (besondere Beobachtungsliste) zu setzen.[30]
Im Januar 2023 wurde in Banda Aceh, der Hauptstadt der Provinz Aceh, eine Frau öffentlich mit 22 Peitschenhieben dafür bestraft, dass sie einen Mann traf, mit dem sie nicht verheiratet war. Aceh ist die einzige Provinz Indonesiens, in der die Scharia gilt. Zwar fanden auch schon früher Auspeitschungen in Aceh statt, doch war neu, dass dieses Mal eine Frau als Auspeitscherin fungierte. Frauen werden mittlerweile in der Scharia-Polizei eingesetzt, um für die Einhaltung strenger moralischer Verhaltensweisen zu sorgen. Eine für die Scharia-Polizei arbeitende Auspeitscherin bezeichnete ihre Tätigkeit als „Pflicht gegenüber Gott“.[31]
Am 15. März 2023 wurde Lina Mukherjee , ein indonesischer Social-Media-Star, bei der Polizei wegen Blasphemie angezeigt. Zuvor hatte sie auf Bali vor laufender Kamera ein islamisches Gebet aufgesagt und dabei Schweinefleisch verzehrt. Nach einem im September 2023 eröffneten Gerichtsverfahren wurden eine zweijährige Haftstrafe sowie eine Geldstrafe in Höhe von 16.000 US-Dollar, dem rund Vierfachen eines durchschnittlichen indonesischen Jahreseinkommens, gegen die Influencerin verhängt. Aus den Gerichtsunterlagen geht hervor, dass die Indonesierin wegen „der Verbreitung von Informationen, die zum Hass gegen religiöse Menschen und Gemeinschaften anstacheln,“ verurteilt wurde.[32]
2023 wurden in der Provinz Aceh neue verschärfte Vorschriften erlassen, die es nicht verwandten Frauen und Männern verbieten, an öffentlichen Orten oder in Fahrzeugen nebeneinander zu sitzen. Mit den neuen Vorschriften sollten die von staatlicher Seite als „sündiges Verhalten“ bezeichneten Handlungen eingedämmt werden. Als zusätzliche Maßnahme in diesem Zusammenhang verhängte der Bürgermeister der Hauptstadt Banda Aceh ein für öffentliche Räume nach 23 Uhr geltendes generelles Ausgehverbot für Frauen.[33] Im April 2024 wurden zwei Paare mit 20 Stockschlägen wegen des Vorwurfs bestraft, außereheliche sexuelle Beziehungen zu unterhalten.[34]
Zudem wurden in Aceh sechs Männer beim Online-Glücksspiel erwischt und öffentlich ausgepeitscht. In Indonesien wird Glücksspiel, Alkoholkonsum sowie Treffen mit nicht verwandten Menschen des anderen Geschlechts mit Auspeitschung bestraft. Banda Acehs Bürgermeister erklärte seine Absicht, gegebenenfalls die Scharia-Polizei einzusetzen, um die Menschen zur Einhaltung der neuen Regeln zu bringen.[35] Im Februar 2025 wurden zwei Männer von örtlichen Bewohnern wegen des Verdachts, eine homosexuelle Beziehung miteinander zu unterhalten, aufgegriffen. Diese wurden daraufhin mit 77 bis 80 Peitschenhieben öffentlich bestraft. Da gleichgeschlechtliche Paare in Indonesien nicht heiraten können und das neue Strafgesetzbuch außerehelichen Geschlechtsverkehr verbietet, sind alle gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen praktisch gesetzeswidrig.[36]
Blasphemie-Vorschriften und die Einschränkung der Meinungsfreiheit sorgen in Indonesien weiterhin dafür, dass der Islam eine Vorrangstellung hat und andere traditionelle Religionen wie das Christentum diskriminiert werden. So wurde der 74-jährige Apollinaris Darmawan, der vom Islam zum Katholizismus konvertiert war, laut Blasphemie-Gesetz verhaftet, weil er ein Buch mit kritischen Äußerungen zum islamischen Recht und den muslimischen Oberhäuptern geschrieben hatte.[37] Nach mehr als vier Jahren Haft wurde er im Juli 2025 freigelassen.[38]
Das Recht wird in Indonesien jedoch weiterhin unterschiedlich ausgelegt. Im Februar 2023 sprang ein Mann namens Wawan Kurniawan über einen Zaun, um den Gottesdienst der christlichen Kirche Tabernacle of David in der Provinz Lampung zu stören. Er bedrohte die Gläubigen mit Beschimpfungen und forderte sie dazu auf, den Gottesdienst abzubrechen. Dem Täter wurde zunächst ein Verstoß gegen die Blasphemie-Vorschriften vorgeworfen, was mit einer fünfjährigen Haft- sowie Geldstrafen geahndet werden kann. Nachträglich wurde die Anklage jedoch lediglich wegen Hausfriedensbruchs erhoben und eine Geldstrafe von 30 US-Dollar verhängt.[39]
Im September 2024 begann Papst Franziskus seine Reise durch vier Länder in Südostasien mit einem Besuch in Indonesien. Dabei fand ein Treffen des Papstes mit dem scheidenden indonesischen Präsidenten Joko Widodo und katholischen Ordensfrauen und Priestern statt. Gegenüber dem Präsidenten von Indonesien bekräftigte Papst Franziskus, dass die Katholische Kirche sich für den interreligiösen Dialog einsetze. Ihm zufolge sei dieser „unerlässlich, um gemeinsamen Herausforderungen wie der Bekämpfung von Extremismus und Intoleranz zu begegnen“. Das Oberhaupt der Katholischen Kirche forderte Indonesien dazu auf, dem eigenen Grundsatz der „Harmonie in Vielfalt“ nachzukommen.[40]
Im Oktober 2024 wurde Rudi Simamora, ein Florist aus der Provinz Nordsumatra und christlicher Gläubiger dafür verhaftet, dass er sich in den sozialen Medien zum Islam geäußert hatte. Er soll erklärt haben, dass die Botschaften des Propheten Mohammed „menschlichen und nicht göttlichen Ursprungs“ seien. Im September wurde der Christ Muchtar Nababan festgenommen, da er angeblich behauptet hatte, dass Christen vor „der schwarzen Magie der Muslime geschützt seien“.[41]
Auch andere Religionsgemeinschaften, insbesondere Schiiten und Ahmadis, werden kontinuierlich diskriminiert und unter Druck gesetzt. Im Dezember 2024 verbot die Provinzverwaltung von West-Java auf Druck muslimischer Hardliner die jährliche Zusammenkunft der Ahmadiyya-Muslime im Regierungsbezirk Kuningan. Das Verbot sorgte dafür, dass 6.000 Ahmadis in einem Bahnhof festsaßen. Henrek Lokra, Exekutivsekretär für Gerechtigkeit und Frieden der Gemeinschaft Christlicher Kirchen in Indonesien, verurteilte das Verbot und bezeichnete religiöse Zusammenkünfte als „gesetzlich garantierten Ausdruck der Religionsfreiheit“.[42]
Der vom Setara Institute, einer indonesischen NRO zur Förderung der Demokratie, für 2024 veröffentlichte Bericht dokumentiert Einschränkungen der Religionsfreiheit in Indonesien, die nach der Amtszeit des Präsidenten Joko Widodo und seit Amtsantritt von Präsident Prabowo Subianto zunehmend stattfanden. Laut Bericht wurden 260 Vorfälle und 402 Verstöße gegen die Religionsfreiheit im Jahr 2024 gemeldet (gegenüber 217 bzw. 329 im Vorjahr). Während in 159 Fällen die Religionsfreiheit von staatlicher Seite verletzt wurde, waren in 243 Fällen nichtstaatliche Akteure für die Verstöße verantwortlich. Der Anstieg wurde auf die politischen Spannungen im Zuge der Präsidentschaftswahl 2024 zurückgeführt. Zu den größten Herausforderungen zählen die zunehmende Intoleranz, ein Anstieg der Blasphemie-Fälle (von 15 auf 42) und anhaltende Beschränkungen für Gebetsstätten. Strukturelle Probleme bleiben unter der neuen Regierung zudem ungelöst.[43]
Die zwischen März und Juli 2024 in der Provinz Banten stattgefundenen Vorfälle zeigen, dass die Intoleranz gegenüber christlichen Gottesdiensten zunimmt. Am 17. März 2024 protestierten muslimische Bewohner in Saga Bunar (Provinz Banten) gegen einen Gottesdienst, der in einem Privathaushalt abgehalten wurde. Nach dem Gottesdienst wurde Pastorin Kinerinda von einer Menschenmenge unter Druck gesetzt und dazu aufgefordert, per schriftlicher Erklärung zuzusichern, keine Gottesdienste mehr bei sich zu Hause durchzuführen. Mit der Formulierung „ohne jeden Zwang“, die in solchen Situationen häufig verwendet wird, sollten rechtliche Konsequenzen vermieden werden. Die Protestaktion wurde von der Polizei aufgelöst, die den Fall den örtlichen Behörden übergab. Einem Vertreter des Setara Institute zufolge ist es laut Gemeinsamem Ministerialerlass von 2006 gestattet, Gottesdienste in Privathaushalten abzuhalten. Nur für den Bau von offiziellen Gotteshäusern sind Genehmigungen erforderlich.[44]
Am 21. Juli 2024 tauchte ein Video auf, das eine Menschenmenge dabei zeigte, wie sie einen christlichen Gottesdienst in einem gemieteten Haus in Teluk Naga (Provinz Banten) störte. An dem Vorfall, der sich im März ereignete, waren vorwiegend Männer in traditioneller muslimischer Bekleidung beteiligt. Die Männer äußerten den Vorwurf, dass die Region überwiegend muslimisch geprägt sei. Gleichzeitig wurde die Kirchengemeinde von ihnen verspottet und beharrlich erklärt, dass Gottesdienste nur in offiziell anerkannten Kirchen stattfinden könnten. Örtliche Beamte sprachen nachträglich ihr Bedauern über den Vorfall aus und stellten der Thessalonica-Kirche einen Ort als Gebetsstätte vorübergehend zur Verfügung. Dieser Vorfall zeigt, dass der Gemeinsame Ministerialerlass von 2006 immer wieder missbräuchlich ausgelegt wird. In ihm wird lediglich vorgeschrieben, Genehmigungen für den Bau von Gotteshäusern, nicht jedoch für die Nutzung privater oder gemieteter Räumlichkeiten einzuholen.[45]
Im Oktober 2024 gab die neue Regierung von Präsident Prabowo Subianto bekannt, neue Umsiedlungen in die überwiegend christliche Provinz West-Papua zu initiieren. Seit den 1970er-Jahren haben Regierungen immer wieder vorwiegend muslimische Einwohner aus überbevölkerten Inseln wie Java in den östlichen Teil des Landes umgesiedelt. Daraus resultierte eine Massenvertreibung von Christen durch rund 20 Millionen Migranten und ihre Nachkommen.
Am 11. November 2024 forderte der Kirchenrat von West-Papua den indonesischen Präsidenten auf, seinen Umsiedlungsplan aufzugeben, da dieser einem Versuch, die papuanische Kultur zu zerstören, gleichkomme.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Die Perspektiven für die Religionsfreiheit sind in Indonesien weiterhin sehr unsicher. Trotz einer verfassungsrechtlich garantierten Religions- und Glaubensfreiheit weisen strukturelle Diskriminierungen, eine zunehmende gesellschaftliche Intoleranz und die anhaltende Vollstreckung restriktiver gesetzlicher Bestimmungen, insbesondere der Blasphemie-Vorschriften, auf eine Verschlechterung der Lage hin. Die Amtszeit von Präsident Jokowi war am Ende von Stagnation geprägt und auch der neue Präsident Subianto hat zu Beginn seiner Amtszeit noch keinen klaren Reformwillen zum Ausdruck gebracht. 2024 wurden 402 Einzelverstöße gegen die Religionsfreiheit gemeldet (gegenüber 329 im Jahr 2023). Insbesondere Verfolgungen wegen Blasphemie haben massiv zugenommen. Vorfälle, die sich gegen christliche Hausgottesdienste in Banten richteten, und das Verbot der Ahmadiyya-Zusammenkünfte in West-Java unterstreichen zudem, wie gefährdet Minderheiten im Land sind. Gleichzeitig gibt das bevorstehende Inkrafttreten von Paragraf 302 des neuen Strafgesetzbuches, der den Aufruf zur Apostasie unter Strafe stellt und durch vage Formulierungen einen weit gefassten Ermessenspielraum einräumt, Anlass zu großer Sorge. Ohne rechtliche Reformen und eine stärkere Rechenschaftspflicht auf allen staatlichen Ebenen läuft Indonesien Gefahr, seine pluralistischen Grundsätze zu untergraben. Das Land sollte deshalb weiterhin genau beobachtet werden.
Quellen