IRAK
Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
In der irakischen Verfassung aus dem Jahr 2005[1] wird der Islam als offizielle Staatsreligion und als eine „Quelle der Gesetzgebung“ bezeichnet. Gemäß Artikel 2 (1) darf kein Gesetz verabschiedet werden, das den Vorschriften des Islams, den Grundsätzen der Demokratie oder den verfassungsmäßigen Rechten und Freiheiten widerspricht. Laut Artikel 2 (2) sind die islamische Identität der Mehrheit der Iraker und die religiösen Rechte von Christen, Jesiden und sabäischen Mandäern gleichermaßen geschützt.
Artikel 4 (1) bestimmt: „Arabisch und Kurdisch sind die beiden Amtssprachen des Irak“. Zugleich haben andere Sprachgruppen das Recht, „ihre Kinder in ihrer Muttersprache, wie etwa Turkmenisch, Assyrisch und Armenisch, [. . .] in staatlichen Bildungseinrichtungen gemäß den Bildungsrichtlinien oder in jeder anderen Sprache in privaten Bildungseinrichtungen“ zu unterrichten.
Rassismus, Terrorismus und Takfirismus (die Praxis, einen anderen Muslim der Apostasie zu bezichtigen) sind gemäß Artikel 7 verboten. Der Staat hat laut Artikel 10 die Pflicht, „Heiligtümer und heilige Stätten“ sowie „den freien Vollzug von Ritualen in ihnen“ zu schützen.
Artikel 14 gewährleistet die Gleichbehandlung vor dem Gesetz „ohne jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Nationalität, der geografischen Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Sektenzugehörigkeit, des Glaubens, der Überzeugung, der wirtschaftlichen oder der sozialen Stellung“. Nach Artikel 37 (2) ist der Staat verpflichtet, Personen „vor geistigem, politischem und religiösem Zwang“ zu schützen.
Artikel 41 sieht vor, dass Personenstandsangelegenheiten entsprechend den unterschiedlichen „Religionen, Sekten, Überzeugungen und Entscheidungen“ per Gesetz zu regeln sind. Artikel 42 garantiert die „Freiheit des Denkens, des Gewissens und des Glaubens“.
Den Irakern steht es gemäß Artikel 43 unter „Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften“ frei, ihre religiösen Riten zu vollziehen, ihre religiösen Angelegenheiten zu regeln und religiöse Institutionen und Stiftungen (waqf) zu verwalten. Darüber hinaus werden Gebetsstätten laut Artikel 43 (2) durch den Staat geschützt.
Artikel 372 des irakischen Strafgesetzbuches von 1969 sieht vor: „Mit einer Freiheitsstrafe von höchstens drei Jahren oder einer Geldstrafe von höchstens 300 Dinar wird bestraft: (1) Wer den Glauben einer religiösen Minderheit angreift oder deren religiöse Praktiken verächtlich macht. (2) Wer eine religiöse Zeremonie, ein Fest oder eine Versammlung einer religiösen Minderheit vorsätzlich stört oder absichtlich verhindert oder behindert, dass ein solches Ritual abgehalten wird. (3) Wer ein für die Zeremonien einer religiösen Minderheit bestimmtes Gebäude oder ein Symbol oder eine ihr heilige Sache zerstört, beschädigt, verunstaltet oder entweiht. (4) Wer ein für eine religiöse Minderheit heiliges Buch druckt oder veröffentlicht und den Text absichtlich so verfälscht, dass sich die Bedeutung ändert, oder wer deren Glaubensgrundsätze oder Lehren ins Lächerliche zieht. (5) Wer öffentlich ein Symbol oder eine Person beleidigt, die für eine religiöse Minderheit Gegenstand der Anbetung oder Verehrung ist. (6) Wer öffentlich eine religiöse Zeremonie oder Feier nachahmt, mit der Absicht zu täuschen.“[2]
Muslimen ist es nach den irakischen Personalstatusgesetzen und -verordnungen untersagt, zu anderen Religionen zu konvertieren. Artikel 1 Absatz 2 des Personalstatusgesetzes verbietet einen Übertritt implizit, indem er diesen der Scharia (islamisches Recht) unterstellt.[3]
Nach Artikel 17 des irakischen Personalstatusgesetzes Nr. 188/1959 dürfen muslimische Männer Frauen heiraten, die einer Religion des Buches (Christentum, Judentum, Sabäismus-Mandäismus) angehören, während muslimischen Frauen die Ehe mit Nichtmuslimen untersagt ist.[4] Kinder mit einem muslimischen Elternteil, einschließlich Konvertiten, gelten laut Gesetz als Muslime.[5]
Per Gesetz sind neun der 329 Sitze im Repräsentantenrat (Unterhaus des Parlaments) für Angehörige von Minderheitengruppen reserviert: fünf Sitze für Christen aus den Gouvernements Bagdad, Ninive, Kirkuk, Erbil und Dohuk sowie je ein Sitz für Jesiden, sabäische Mandäer, Schabaken und Faili-Kurden.
In der Autonomen Region Kurdistan im Irak (KRI) waren 11 der 111 Parlamentssitze religiösen und ethnischen Minderheiten vorbehalten.[6] Im Februar 2024 entschied das oberste Bundesgericht des Irak, dass der entsprechende Artikel im Wahlgesetz der KRI zu den Minderheitenquoten „verfassungswidrig“ sei.[7] Im Mai 2024 stellte das Gericht fünf Quotensitze für Christen und Turkmenen wieder her – was einen Nettoverlust an Sitzen und den fortgesetzten Ausschluss anderer Gruppen zur Folge hatte.[8]
Die Parlamentswahlen in der KRI im Oktober 2024 führten aufgrund der Neuverteilung der Quotensitze in Gouvernements mit geringerer christlicher Bevölkerung zu Einwänden von Assyrern. Einige Angehörige der Gemeinschaft kritisierten zudem die Aufstellung vermeintlicher „Alibi-Kandidaten“ christlichen Glaubens auf den Listen muslimisch dominierter Parteien.[9]
Einige Christen berichteten, dass Beamte der kurdischen Regionalregierung (KRG) sich weigerten, Ansprüche auf veruntreuten Besitz zu klären. Zudem hätten sie Milizen erlaubt, Christen an Kontrollpunkten zu schikanieren, und christliche Bauern daran gehindert, Vorräte zwischen Dörfern zu transportieren.[10] Einige Assyrer äußerten sich außerdem besorgt über einen möglichen Plan der KRG zum Bau eines Staudamms im Nahla-Tal, der indigene Stätten und Denkmäler gefährden und christliche Einwohner vertreiben könnte.
Der Bahai-Glaube, der Zoroastrismus und die Kaka’i-Religion (Yarsanismus) sind auf Bundesebene verboten. In der KRI sind jedoch alle drei Religionen legal[11], auch wenn das Bundesrecht ihre Ausübung untersagt und Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren vorsieht.[12] Nach Angaben des US-Außenministeriums wird das Verbot nicht durchgesetzt.[13]
Bei der Beantragung eines Personalausweises müssen Iraker ihre Religionszugehörigkeit angeben, auch wenn diese nicht auf dem Dokument vermerkt wird. Angehörige nicht anerkannter Glaubensgemeinschaften können ihre Religion daher nicht in zivilen Dokumenten eintragen lassen. Ohne die Angabe einer staatlich anerkannten Religion wird kein Personalausweis ausgestellt, was den Zugang zu vielen grundlegenden Dienstleistungen verhindert.[14] Da Ehe, Scheidung und Erbrecht dem Personalstatusgesetz unterliegen – und für nicht anerkannte Religionen keine entsprechenden Bestimmungen existieren – können Bahai, Zoroastrier und Kaka’i ihre Ehen nicht registrieren lassen, und ihre Kinder gelten faktisch als Staatenlose.[15]
Vorfälle und Entwicklungen
Im Januar 2023 erklärte der sunnitische Scheich Abdulrazaq al-Saadi aus dem Gouvernement Anbar, der Bau einer christlich-chaldäischen Kirche in der antiken Stadt Ur im Gouvernement Dhi Qar sei „katastrophal und gegen die Lehren des Korans“. Er schlug vor, die Kirche stattdessen in ein Kulturzentrum unter Aufsicht des Ministeriums für Kultur, Tourismus und Altertümer umzuwandeln.[16]
Im Februar 2023 wurde Bischof Bahzad Mziri von der täuferischen Kirche in der Stadt Duhok wegen eines Facebook-Posts über den islamischen Propheten Mohammed, der als beleidigend und herabwürdigend angesehen wurde, verklagt. Bischof Mziri entschuldigte sich und erklärte, sein Konto sei gehackt worden.[17] Im folgenden Gerichtsverfahren wurde Mziri freigesprochen.[18]
Im März 2023 kam es in der Stadt Baghdeda (auch bekannt als Qaraqosh) im Distrikt al-Hamdaniya in der Ninive-Ebene zu Protesten, bei denen sich die örtliche christliche Bevölkerung gegen den Versuch einer Übernahme durch die Miliz Kataib Babiliyoun (KB) – die 50. Brigade der Volksmobilisierungskräfte (PMF) – wehrte. Auslöser der Auseinandersetzung war offenbar der Versuch des KB-Kommandeurs Osama al-Kildani, einen Stützpunkt der Eingreiftruppe der Nineveh Plains Protection Units (NPU), eines christlichen Regiments mit rund 500 lokalen Kämpfern, unter seine Kontrolle zu bringen.[19] Im Januar 2024 forderte der chaldäische Patriarch Kardinal Louis Raphael Sako den Abzug der Milizen – einschließlich jener der Bewegung Babiliyoun – aus der Ninive-Ebene und deren Ersatz durch reguläre Armeeeinheiten und Einheiten der Bundespolizei.[20]
Ebenfalls im März 2023 beschuldigte der sunnitische irakische Verband der muslimischen Gelehrten die Generalbehörde des schiitischen Al-Askari-Schreins, die im 9. Jahrhundert errichtete sunnitische Große Moschee in der Stadt Samarra sowie die dazugehörige Schule beschlagnahmt und die Moschee unter dem Vorwand der Restaurierung ihrer Kuppel in „Saheb Al-Amr“ umbenannt zu haben. Nach Einschätzung des Verbands handelt es sich um „einen weiteren gefährlichen Schritt im Projekt der systematischen Aneignung islamischer Stiftungen im Irak und der Durchsetzung konfessioneller Vorherrschaft mit militärischen Mitteln.“[21]
Im selben Monat trafen sich Vertreter religiöser und ethnischer Minderheiten sowie Repräsentanten der irakischen Regierung und des Parlaments zu einer vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) organisierten Konferenz in Bagdad, um über die Herausforderungen einer inklusiven Staatsbürgerschaft zu beraten. Vertreter der Kaka’i- und der zoroastrischen Gemeinschaft erklärten, dass sie in einem Land, in dem sie zu den indigenen Bevölkerungsgruppen gehören, weiterhin nicht rechtlich anerkannt seien.[22]
Im Dezember 2023 traf sich Masrour Barzani, Ministerpräsident der Regionalregierung Kurdistans (KRG), mit einer von Religionsführer Sayed Rahim Sayed Azim angeführten Kaka’i-Delegation. Beide Seiten betonten die Bedeutung von Einheit und friedlichem Zusammenleben der verschiedenen Gemeinschaften – sowohl in der Autonomen Region Kurdistan als auch im übrigen Irak.[23]
Im April 2023 startete die irakische Regierung den Fernsehsender al-Syriania, um die von Christen gesprochene neuaramäische (syrische) Sprache zu bewahren. Der Sender beschäftigt rund 40 Mitarbeitende und bietet ein breites Programm mit Filmen, Kunst- und Kultursendungen sowie historischen Beiträgen.[24]
Im Mai 2023 begann die Abteilung für christliche Angelegenheiten beim Amt für die Stiftungen religiöser Minderheiten mit der Erhebung von Daten, um eine digitale Datenbank der christlichen Gemeinden zu erstellen. Erfasst werden u. a. geografische Verteilung, Bildungsstand, berufliche Qualifikationen, Familienstand, Haushaltsgröße, Berufsfelder und Wohnsituation.[25]
Im Juni 2023 schlugen christliche Gruppen Alarm wegen mutmaßlich illegaler Landübernahmen in der Ninive-Ebene, die darauf abzielten, die demografische Zusammensetzung der Region zu verändern. In einem Appell an Premierminister Mohammed Shia Al-Sudani und Bauminister Bangen Rekani forderten sie umgehendes Handeln, um „alle Maßnahmen zum Zuschnitt und zur Verteilung von Land in den historischen Siedlungsgebieten der indigenen christlichen Gemeinschaften im Irak zu stoppen“.[26]
Am 3. Juli 2023 widerrief Iraks Präsident Abdul Latif Raschid das Präsidialdekret Nr. 147 mit der Begründung, es entbehre der verfassungsrechtlichen Grundlage, da die Verfassung dem Präsidenten nicht die Befugnis einräume, religiöse Führer zu ernennen oder offiziell anzuerkennen. Das Dekret war 2013 vom damaligen Präsidenten Jalal Talabani erlassen worden und hatte Kardinal Louis Raphael Sako als Patriarchen der Chaldäisch-Katholischen Kirche im Irak und weltweit anerkannt und ihm die rechtliche Zuständigkeit für Kirchengüter verliehen. Es stand in einer langen Tradition, religiösen Führern von Minderheiten aus administrativen Gründen eine staatliche Anerkennung zu gewähren. Präsident Raschid stellte klar, dass der Widerruf Sakos kirchliche Autorität, die vom Vatikan verliehen wird, nicht berühre.[27] Aus Protest verließ Patriarch Sako seinen Sitz in Bagdad und zog in die Stadt Erbil.
Im August 2023 erklärte der Patriarch in einem Interview mit Aid to the Church in Need (ACN), die Aufhebung des Dekrets sei „… eine Demütigung für die Kirche. Diejenigen, die hinter diesem Schritt stehen, wollen sich den Besitz der Kirche aneignen und ihn getrennt von den kirchlichen Autoritäten verwalten. Das können wir nicht akzeptieren.“[28] Die Verwaltung kirchlicher Vermögenswerte schien der Kern des Konflikts zu sein. Nach Angaben von Patriarch Sako habe Präsident Raschid auf Druck der Babiliyoun-Brigaden und ihres Anführers Rayan al-Kildani gehandelt; die pro-iranische christliche Miliz und politische Partei versuche, das Eigentum der Chaldäischen Kirche zu übernehmen.[29] Im Juli 2023 verteidigte Ano Jawhar, Minister für Verkehr und Kommunikation der KRG, den Patriarchen im Fernsehen: „Zum ersten Mal in der Geschichte des sogenannten neuen Irak nach 2003 werden Christen durch das Staatsoberhaupt, den Chef der Exekutive des irakischen Staates, einer ‚staatlichen Verfolgung‘ ausgesetzt.“[30]
Kardinal Sako focht die Entscheidung des Präsidenten vor Gericht an. Im November 2023 wies das Oberste Bundesgericht des Irak seine Klage ab und stellte keine Unregelmäßigkeiten bei der Aufhebung des Dekrets fest. Der Kardinal bezeichnete dies als „eine ungerechte Entscheidung“.[31]
Im Juli 2023 wies der Irak den schwedischen Botschafter aus – nur wenige Stunden, nachdem irakische Demonstranten, empört über die Verbrennung von Koranexemplaren in Schweden, die schwedische Botschaft im Zentrum Bagdads gestürmt, die Mauern erklommen und das Botschaftsgelände in Brand gesetzt hatten.[32]
Ebenfalls im Juli 2023 wurde in der Stadt Dohuk in der kurdischen Region ein neues katholisches Seelsorgezentrum eröffnet.[33]
Im November 2023 gab die irakische Ministerin für Migration und Vertreibung, Ivan Faiq Jabro, die freiwillige Rückkehr von 487 vertriebenen Jesiden aus dem Lager Sharia im Gouvernement Dohuk in ihre ursprünglichen Wohngebiete in Shingal im Gouvernement Ninive bekannt.[34]
Im November 2023 empfing Papst Franziskus den irakischen Präsidenten Abdul Latif Raschid im Vatikan. Laut einer Mitteilung des Presseamts des Heiligen Stuhls wurde bei dem Treffen „die Notwendigkeit bekräftigt, dass die Katholische Kirche im Irak weiterhin ihre geschätzte Mission ausüben kann und dass alle irakischen Christen ein lebendiger und aktiver Teil der Gesellschaft und des Landes bleiben, insbesondere in der Ninive-Ebene“.[35]
Im Dezember 2023 sagte das chaldäische Patriarchat alle Weihnachtsaktivitäten ab, einschließlich Konzerte in Clubs oder Kirchen sowie der Berichterstattung in den Medien. Dies geschah aus Protest gegen die Aufhebung des Präsidialerlasses Nr. 147 und aus Respekt vor den Opfern des andauernden Konflikts im Heiligen Land und der Tragödie in der überwiegend syrischen Stadt Qaraqosh[36], wo im September 2023 bei einem Brand in einem Hochzeitssaal 133 Menschen ums Leben kamen.[37] Im selben Monat sagte auch das sunnitische Stiftungsamt aus demselben Grund alle Feiern zum Geburtstag des Propheten ab.[38] Der schiitische Großayatollah Sayyed Ali Al-Sistani äußerte ebenfalls Trauer und Bedauern über den Vorfall.[39]
Ende 2023 wurden 63 von 121 christlichen Familien aus Wohnungen des staatseigenen Komplexes Mariam al-Adra (Jungfrau Maria) in Bagdad vertrieben.[40] Sie hatten dort seit ihrer Flucht vor der Terrororganisation DAESH im Jahr 2014 Zuflucht gefunden. Die irakische Regierung hatte 2022 beschlossen, das Areal einer anderen Nutzung zuzuführen – trotz Protesten der Kirche.[41]
Im Dezember 2023 erhielten Kandidaten für Minderheitensitze bei den Provinzratswahlen in 15 Provinzen mehr als 42.000 Stimmen und sicherten sich alle zehn reservierten Mandate: vier Sitze für Christen (Ninive, Bagdad, Kirkuk und Basra), zwei Sitze für Faili-Kurden (Bagdad und Wasit), zwei Sitze für sabäische Mandäer (Bagdad und Maysan), einen Sitz für Schabaken (Ninive) und einen Sitz für Jesiden (Ninive). Minderheitenkandidaten errangen zudem weitere Mandate, indem sie auf den Listen anderer Parteien kandidierten.[42]
Im Februar 2024 richtete das irakische Justizministerium einen neuen Ausschuss ein, um Immobilienansprüche religiöser Minderheiten zu prüfen.[43]
Im März 2024 entschied das Oberste Gericht des Irak, dass die Zentralregierung Webseiten überwachen und sperren darf, die als „antireligiös“ eingestuft werden, weil sie etwa heilige Schriften oder Propheten in herabsetzender Weise darstellen.[44]
Bei einem Treffen mit christlichen Führungspersönlichkeiten im März 2024 bekräftigte Präsident Abdul Latif Raschid die Bedeutung der einheimischen christlichen Gemeinschaften des Irak als „integralem Bestandteil der wechselseitigen Vielfalt der multikulturellen Identität des Landes“.[45]
Im Juni 2024 erklärte der Chaldäische Bischof Paul Thabit Mekko von Alqosh gegenüber Agenzia Fides, dass zehn Jahre nach der Besetzung durch DAESH weniger als 50 christliche Familien in die Stadt Mossul zurückgekehrt seien, die einst Heimat von mindestens 1.200 christlichen Familien gewesen sei.[46]
Ebenfalls im Juni 2024 erließ der irakische Premierminister Mohammed Shia al-Sudani ein Dekret, mit dem er „Kardinal Patriarch Louis Raphael Sako als Patriarchen der Chaldäer im Irak und in der Welt“ einsetzte und damit die institutionelle Anerkennung wiederherstellte, die im Juli 2023 von Präsident Abdul Latif Raschid widerrufen worden war.[47]
Im Juli 2024 berichtete das United States Central Command (US CENTCOM), dass DAESH „dabei sei, die Zahl der von der Organisation beanspruchten Angriffe im Jahr 2023 mehr als zu verdoppeln“.
Der Anstieg deute darauf hin, dass die Gruppe „versuche, sich nach mehreren Jahren verringerter Schlagkraft neu zu formieren“. Bei rund 137 Operationen wurden 30 DAESH-Kämpfer getötet und weitere 74 festgenommen.[48]
Im August 2024 veröffentlichte die jesidische Nichtregierungsorganisation Yazda eine Erklärung, in der sie große Besorgnis über eine „Kampagne von Hassrede und Online-Gewalt“ gegen Jesiden äußerte. Besonders beunruhigend sei, dass diese mit dem 10. Jahrestag des Völkermords an den Jesiden zusammenfiel. Laut Yazda hatten sich viele Jesiden in Angst vor bevorstehenden Angriffen an die Organisation gewandt. Die Erklärung forderte die irakische Regierung und die KRG auf, „die Ursachen des Völkermords an den Jesiden zu bekämpfen und klare Garantien für die Nichtwiederholung der gegen Jesiden und andere Gruppen begangenen Verbrechen zu gewährleisten“.[49]
Im November 2024 weitete das irakische Parlament das bestehende Alkoholverbot auf Hotels und Gesellschaftsklubs aus. Damit herrscht im Irak ein nahezu vollständiges Alkoholverbot. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafen zwischen 7.700 und 19.000 US-Dollar geahndet.[50] Ein bereits 2016 erlassenes Gesetz hatte die Herstellung, den Import und den Verkauf alkoholischer Getränke untersagt, wurde jedoch erst seit März 2023 tatsächlich durchgesetzt. Christliche Abgeordnete kritisierten das Gesetz und reichten beim Obersten Bundesgericht Klage gegen die Verfassungsmäßigkeit des Kommunalen Einfuhrgesetzes ein.[51] Im August 2023 wies das Gericht die Klage ab.[52] Der Verkauf von Alkohol ist für nicht-muslimische Minderheiten wie Christen und Jesiden eine wichtige Einkommensquelle.
Im November 2024 forderte Mohamed Al Hassan, Sonderbeauftragter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für den Irak und Leiter der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI), entschlossenes Handeln zur Unterstützung der vertriebenen Jesiden. Zehn Jahre nach dem Völkermord und sieben Jahre nach der militärischen Niederlage von DAESH sind mehr als 200.000 Jesiden weiterhin in der Autonomen Region Kurdistan (KRI) vertrieben, über 2.600 gelten noch immer als vermisst.[53] Im Oktober 2024 wurde eine jesidische Frau, die im Alter von elf Jahren von DAESH im Irak entführt und später nach Gaza verschleppt worden war, nach mehr als einem Jahrzehnt in Gefangenschaft befreit.[54]
Im Februar 2025 wurde im Distrikt Sindschar (Schingal) ein weiteres Massengrab geöffnet, in dem sich die Überreste von 15 bis 20 Personen befanden. Seit der Befreiung des überwiegend jesidischen Gebiets von der Kontrolle durch DAESH wurden 93 Massengräber entdeckt, von denen bislang nur 53 exhumiert wurden.[55]
Im Februar 2025 wurde ein deutlicher Anstieg der Bewegungen von DAESH-Kämpfern zwischen den Gouvernements Kirkuk und Salahaddin gemeldet. Bewaffnete Mitglieder der Gruppe trugen dabei Militäruniformen.[56]
Im März 2025 gab Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani bekannt, dass irakische Sicherheitskräfte mit Unterstützung der USA den DAESH-Anführer Abdallah Makki Muslih al-Rufay’i, auch bekannt als Abu Khadija, getötet hätten.[57] Trotz seiner militärischen Niederlage im Jahr 2017 unterhält DAESH weiterhin Schläferzellen und verübt gelegentlich Angriffe.
Ebenfalls im März 2025 empfing Patriarch Kardinal Louis Sako in seiner Residenz in Bagdad Mohammed Al-Mayah, Direktor des Büros für Regierungskoordinierung beim Nationalen Sicherheitsrat, und Ali Al-Saadi, Berater des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses des Repräsentantenrats. Thema des Gesprächs war die Lage der Christen und mögliche Unterstützungsmaßnahmen.[58]
Im selben Monat forderte Kardinal Sako eine Reform des christlichen Quotensystems vor den für Oktober 2025 angesetzten Parlamentswahlen. In einer Erklärung betonte er, das derzeitige Verfahren gewährleiste keine echte Vertretung der christlichen Minderheit im Parlament.[59] Bei der letzten Wahl waren vier der fünf für Christen reservierten Sitze an Kandidaten der Babiliyoun-Bewegung gegangen.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Im Berichtszeitraum blieb die Religionsfreiheit im Irak fragil. Die Beziehungen zwischen Christen und den verschiedenen Regierungsebenen wurden durch mehrere politische und rechtliche Entscheidungen belastet. Die Abschaffung der für Christen reservierten Parlamentssitze in der Autonomen Region Kurdistan und die Aufhebung der offiziellen Anerkennung der Zuständigkeit des Chaldäischen Patriarchen für Kirchengüter untergruben das Vertrauen zusätzlich. Beide Maßnahmen hätten vermieden werden können.
Das Unvermögen – oder der Unwille – der irakischen Regierung, den Einfluss staatlich finanzierter, pro-iranischer Milizen, insbesondere von Fraktionen der Volksmobilisierungskräfte (PMF), einzudämmen, stellt weiterhin eine Bedrohung für religiöse Minderheiten dar. Viele vertriebene Christen zögerten, in die Ninive-Ebene zurückzukehren, vor allem wegen der 50. Brigade (Babiliyoun) der PMF und ihres Anführers Rayan al-Kildani. Die Abwanderung von Christen hält an.
Nach wie vor gilt die Gemeinschaft der Jesiden als besonders gefährdet: Mehr als 200.000 Menschen leben weiterhin als Vertriebene, über 2.600 gelten noch immer als vermisst. Die anhaltende Hassrede hat das Gefühl der Unsicherheit in der Gemeinschaft weiter verstärkt.
Ein weiterer besorgniserregender Trend ist die Zunahme der Anschläge durch DAESH.
Solange es keine substanziellen politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Reformen gibt, bleiben die Aussichten auf wesentliche Verbesserungen der Religionsfreiheit schlecht. Gleichberechtigung bzgl. der Bürgerrechte und umfassende Religionsfreiheit sind weiterhin nicht in Sicht.
Quellen