Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Inselkette der Komoren gehört zu Afrika und liegt am nördlichen Ende der Straße von Mosambik im Indischen Ozean. Drei der vier Hauptinseln erlangten 1975 ihre Unabhängigkeit von Frankreich und nahmen den Namen Islamische Föderative Republik Komoren an; die vierte Insel, Mayotte, blieb als Überseedepartement Teil des französischen Staatsgebiets. Seitdem hat das Land mehrere Putsche und Putschversuche erlebt und seine Verfassung mehrmals geändert. Bis heute ringt es um die Herstellung einer gewissen politischen Stabilität.[1]
Derzeit lautet der amtliche Name des Landes „Union der Komoren“. Seine aktuelle Verfassung[2] wurde am 6. August 2018 per Referendum verabschiedet. Unter Titel IV der Verfassung ist der föderale Charakter des Staates mit weitreichender Autonomie für die Hauptinseln festgeschrieben.
In Artikel 2 der Verfassung wird „die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unabhängig von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion und politischer Überzeugung“ anerkannt. Ferner wird darin „allen Bürgern die uneingeschränkte Ausübung der Grundfreiheiten“ eingeräumt.
Allerdings sieht die Verfassung auch eine Sonderstellung für den Islam – die Mehrheitsreligion – vor. Während die Verfassung von 2001 in ihrer Präambel den Islam lediglich als Quelle „der Grundsätze und Regeln, die für die Union gelten“ erwähnte,[3] wird er in Artikel 97 der neuen Verfassung zur Staatsreligion erklärt. Dort heißt es außerdem: „Der Staat schöpft aus dieser Religion [Islam], den Grundsätzen und Regeln der sunnitischen Glaubenslehre und der schafiitischen Rechtsschule, die den Kultus und das gesellschaftliche Leben bestimmen.“ In der neuen Präambel wird der sunnitische Islam als Grundstein der nationalen Identität bezeichnet.[4]
Artikel 98 besagt: „Der Mufti der Republik ist die höchste religiöse Autoritätsperson des Staates. Er wird per Dekret vom Präsidenten der Union ernannt.“ Somit ist der Großmufti nicht nur der ranghöchste muslimische Geistliche, sondern auch ein Regierungsbeamter.[5] Der besondere Status des sunnitischen Islam führt dazu, dass die Rechte anderer Gemeinschaften – so auch von nichtsunnitischen Muslimen wie Schiiten[6] und Ahmadiyya[7] – eingeschränkt werden. Nach Ansicht des komorischen Verfassungsexperten Mohamed Rafsandjani gilt unter der Verfassung von 2018: „Wenn man kein Sunnit ist, gehört man nicht zur nationalen Gemeinschaft.“[8]
Die Zentralregierung der Komoren übt in allen Religionsangelegenheiten strenge Kontrolle aus. Um Imame, Prediger und Lehrer an Koranschulen besser überwachen zu können, arbeitet das Innenministerium seit 2018 mit dem Mufti-Nationalrat (Muftiat) zusammen und hat einen „Berufsausweis“ zur Bescheinigung akademischer und religiöser Kompetenzen eingeführt.[9]
Sämtliche Formen der Missionierung oder der religiösen Propaganda, die nicht im Namen des sunnitischen Islam erfolgen, sind auf den Komoren untersagt. In Kapitel 23 des komorischen Strafgesetzbuchs werden Strafen für die Verbreitung nichtislamischer Religionen festgelegt. In Artikel 175 heißt es beispielsweise: „Wer eine andere Religion als den Islam unter Muslimen bekannt macht, verbreitet oder lehrt, wird mit einer Haftstrafe von drei Monaten bis zu einem Jahr und einer Geldstrafe von 50.000 bis 500.000 Komoren-Francs (umgerechnet ca. 100 bis 1.000 Euro) belegt.“ Dasselbe Strafmaß ist für diejenigen vorgesehen, die „Bücher, Broschüren, Magazine, Aufzeichnungen, Kassetten oder sonstige Medien über nicht islamische Religionen“ an Muslime verkaufen oder sie ihnen kostenfrei anbieten.[10] Ausländern, die an derartigen Aktivitäten beteiligt sind, droht die Ausweisung.[11] Sowohl Blasphemie als auch Apostasie gelten auf den Komoren als Straftaten.[12]
Im öffentlichen Bildungssystem ist kein Religionsunterricht vorgeschrieben, doch der Arabischunterricht an öffentlichen Grundschulen erfolgt mithilfe des Korans. An öffentlichen und privaten Schulen der Sekundarstufe wird der islamische Glaube ebenfalls vermittelt, manchmal in Verbindung mit Arabisch. Darüber hinaus werden auch gebührenpflichtige Schulen, die Koranunterricht anbieten, teilweise vom Staat finanziert.[13]
In Bezug auf die berufliche Beschäftigung sind alle Bürger vor dem Gesetz gleich. Dies gilt unabhängig von Geschlecht, Glaube, Weltanschauung, Herkunft, Ethnie und Religion. Berichten zufolge wird dieser Grundsatz von den Behörden auch effektiv durchgesetzt.[14] Gleichwohl sieht Artikel 17 der Verfassung „für komorische Bürger ausländischer Herkunft Einschränkungen bei der Ausübung politischer Rechte und beim Zugang zu bestimmten staatlichen Funktionen oder Stellen vor“.[15]
Für die Bearbeitung von Diskriminierungsfällen ist das komorische Arbeitsministerium zuständig. Dieses leitet nicht gelöste Fälle für gewöhnlich an die Gerichte weiter.[16]
Die Komoren sind neben Mauretanien und Somalia eines von drei afrikanischen Ländern, die keine diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl unterhalten.[17] Das Apostolische Vikariat Archipel der Komoren, zu dem auch Mayotte gehört, wurde 2010 errichtet. Der Apostolische Vikar ist Bischof Charles Mahuza Yava.[18] Der Apostolische Nuntius in Madagaskar fungiert auch als Apostolischer Delegat auf den Komoren. Aktueller Amtsinhaber ist Erzbischof Tomasz Grysa.[19]
Die Komoren haben verschiedene internationale Menschenrechtskonventionen ratifiziert, die Auswirkungen auf die Religionsfreiheit haben. Dazu gehören das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT), das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC).[20]
Dennoch ist ein gewisser Zugzwang, sich orthodoxen muslimischen Bräuchen und Riten anzupassen, durchaus präsent auf den Komoren. Christliche Einwohner – zumeist Konvertiten – stehen ständig unter Druck und sind Einschüchterungsversuchen wie z. B. Mobbing oder Belästigungen am Arbeitsplatz und auf der Straße ausgesetzt. Wenn sie in der Öffentlichkeit über Religion sprechen oder außerhalb des kirchlichen Umfelds predigen, drohen Geld- oder Gefängnisstrafen.[21] Nicht-muslimischen Ausländern bleiben derartige Konsequenzen in der Regel erspart.[22] Entgegen den Bestimmungen der Kinderrechtskonvention (CRC) haben christliche Eltern auf den Komoren nicht die Freiheit, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie es möchten.
Der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung beträgt weniger als 0,5 %.[23] Von den beiden römisch-katholischen Kirchen auf den Komoren befindet sich eine in der Hauptstadt Moroni auf der Insel Grande Comore (komorisch: Ngazidja) und eine in Mutsamudu auf der Insel Anjouan (komorisch: Ndzuani).[24] In Moroni gibt es außerdem eine evangelische Kirche.[25]
Am 9. Januar 2024 veröffentlichte das US-Außenministerium wie jedes Jahr seine Liste der Länder, die gemäß dem International Religious Freedom Act (Gesetz zur internationalen Religionsfreiheit) von 1998 gegen die Religionsfreiheit verstoßen. Dabei wurden die Komoren neben Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik, Aserbaidschan und Vietnam unter besondere Beobachtung gestellt.[26]
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Im Januar 2024 wurde Azali Assoumani als Präsident der Komoren wiedergewählt und trat damit seine insgesamt vierte Amtszeit an. Dieser Wahlsieg gab Anlass zur Besorgnis, könnte er doch weitere Herausforderungen für die kleine christliche Minderheit des Landes bedeuten. Assoumani war zunächst 1999 durch einen Putsch an die Macht gekommen und bereits von 2002 bis 2006 Staatspräsident. Im Jahr 2016 kehrte er in dieses Amt zurück. Später veranlasste er eine Verfassungsänderung, um seine Amtszeit ausdehnen zu können.[27] Die kleine christliche Gemeinschaft – hauptsächlich in der Hauptstadt Moroni ansässige Ausländer – ist nach wie vor von gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen und mit bürokratischen Hindernissen sowie Restriktionen beim Bau von Gotteshäusern konfrontiert.[28]
Nach der Bekanntgabe von Assoumanis Wahlsieg kam es in der Hauptstadt zu Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten, die derart ausuferten, dass eine nächtliche Ausgangssperre verhängt werden musste und die Armee Tränengas einsetzte, um die Demonstranten zu zerstreuen.[29] Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, appellierte an die Regierungstruppen, „das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung zu gewährleisten“ und ermahnte alle Beteiligten, Zurückhaltung zu üben.[30] Trotz der angespannten Stimmung befanden internationale Beobachter, dass die Wahlen weitgehend frei und fair verlaufen seien. Allerdings ließ die geringe Wahlbeteiligung – nur 55.259 von 189.000 Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab – Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Abläufe aufkommen. Vorwürfe des Wahlbetrugs, die von der Opposition erhoben wurden, wies Assoumani zurück.[31]
Seit seiner Machtübernahme sieht sich Assoumani zunehmend Vorwürfen des Autoritarismus ausgesetzt. Mitte September 2024 eskalierten die Spannungen, nachdem der Präsident bei einem Messerangriff an der Hand verletzt wurde, bevor der Angreifer überwältigt werden konnte.[32] Letzterer wurde am folgenden Tag tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden, wo er isoliert untergebracht worden war.[33]
Berichten des Nachrichtenportals Comores-infos zufolge wurde am 24. April 2024 ein islamischer Prediger namens Abdallah Youssouf Chamda festgenommen und inhaftiert, weil er während des Ramadan behauptet hatte, ein Muslim müsse nicht fasten, wenn er an einem Tag eine Strecke von fünf Kilometern zurücklegt. Diese Behauptung löste Proteste und Unruhen in der Bevölkerung aus; die Inhaftierung des Predigers wiederum warf Fragen hinsichtlich der Freiheit der Religionsausübung auf.[34]
Im Juli 2024 wurden in einem Arbeiterviertel von Moroni 36 schiitische Muslime festgenommen, weil sie Aschura feierten, eines der wichtigsten Feste der Schiiten. Auf den Komoren ist einzig die Ausübung des sunnitischen Islam der schafiitischen Rechtsschule erlaubt.[35]
Im November 2024 stürmte die örtliche Polizei eine Kirche der Madegassen und verbot den Kirchgängern vorübergehend, sich zu versammeln.[36] Der Einsatz, bei dem die Beamten unter Gewaltanwendung das Gotteshaus abriegelten, rief Empörung in der madegassischen Gemeinschaft hervor und löste auch im komorischen Innenministerium heftige Reaktionen aus. Dort beschuldigten einige Bedienstete die Polizei, „ihre Befugnisse gravierend überschritten“ zu haben und tadelten das Vorgehen der Ordnungshüter als „unrechtmäßig“ und nicht vereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip. Das Ministerium bekräftigte, dass die nationalen Gesetze dem Schutz der Religionsfreiheit dienen und dieser Schutz auch für Ausländer gelte. Es wurde eine interne Untersuchung des Sachverhalts in Gang gesetzt.
Der Vorfall führte dazu, dass die Debatte über den Platz nicht-muslimischer Religionsgemeinschaften in einem überwiegend muslimischen Staat und über das Gleichgewicht zwischen nationaler Identität und individuellen Rechten neu entfacht wurde.[37] In einer Pressemitteilung versicherte das Ministerium den Religionsgemeinschaften, dass sie ihr Recht auf freie Religionsausübung im Rahmen der geltenden Gesetze wahrnehmen können, und ging damit auch auf Bedenken innerhalb der madegassischen Gemeinschaft ein. Innenminister Fakridine Mahamoud Mradabi betonte, dass die Komoren zwar eine sunnitisch-muslimische Identität hätten, jedoch die Grundrechte achten würden, die gemäß internationalen Abkommen gelten.[38]
Im November 2024 zwang der komorische Bildungsminister die französische Sekundarschule in Moroni, ihre Kopftuchregelung zu überarbeiten, und stellte damit die säkularistische Hausordnung der Schule in Frage. Wie die Tageszeitung Al Watwan berichtete, prangerte eine Mutter das Verhalten der Schulleiterin an, die angeblich ihre Tochter im Teenageralter am Arm gepackt und ihr mit einem Schulverweis gedroht hatte, weil sie ein Kopftuch trug. Der Fall gewann an Bedeutung, als der Bildungsminister bekanntgab, dass die Schulleitung das Kopftuch nicht verbieten könne, und zudem die Schule aufforderte, ihre Hausordnung zu überarbeiten.[39]
Im Januar 2025 wurden die Parlamentswahlen von diversen Oppositionsführern boykottiert, die Präsident Azali Assoumani und der Regierungspartei „autoritäre Maßnahmen“ vorwarfen und „erhebliche Bedenken im Hinblick auf ordnungsgemäße Wahlabläufe“ äußerten.[40]
Im Februar 2025 veranstaltete die nationale Kommission für Menschenrechte und Freiheiten einen Workshop, um auf das Thema Kinderheirat aufmerksam zu machen und die islamischen Richter (Kadis) auf der Insel Grande Comore für die schädlichen Auswirkungen dieser Praxis und die gesellschaftlichen Folgen zu sensibilisieren. Auf den Komoren werden viele Mädchen verheiratet, bevor sie das 18. Lebensjahr vollenden; dies stellt nicht nur eine Verletzung der Kinderrechte dar, sondern beeinträchtigt auch die schulische, emotionale und körperliche Entwicklung der Betroffenen.[41]
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1975 hat die Inselgruppe zahlreiche Militärputsche erlebt und ist bis heute mit politischer Instabilität, wirtschaftlicher Unterentwicklung, hohen Armutsraten, Inflation,[42] weitverbreiteter Korruption,[43] Menschenhandel und irregulärer Migration (insbesondere nach Mayotte) konfrontiert.[44] All dies bringt erhebliche Herausforderungen für die Zukunft des Landes mit sich.
Die Verfassung von 2018 garantiert zwar offiziell die Gleichheit aller Bürger und ihr Recht auf die Grundfreiheiten, und das Innenministerium versichert, dass die Religionsfreiheit durch nationale Gesetze geschützt sei. Doch aufgrund des privilegierten Status des sunnitischen Islam und der bestehenden Rechtspraxis in Bezug auf Blasphemie und Apostasie genießen sunnitische Muslime de facto eine höhere rechtliche und gesellschaftliche Stellung, während die Religionsfreiheit für Nichtsunniten und Minderheitsgemeinschaften eingeschränkt ist. Darüber hinaus wird einigen Religionsgemeinschaften nach wie vor mit offener Feindseligkeit begegnet.[45]
In Anbetracht der Befürchtungen über den schleichenden Autoritarismus in der Politik und der Verstöße gegen die Religionsfreiheit im aktuellen Berichtszeitraum scheinen die Perspektiven für dieses Grundrecht auf den Komoren ungünstig zu sein.
Quellen