MEXICO
Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
In Mexiko ist die Religionsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert.[1] Ihre Ausübung wird durch das Gesetz über religiöse Vereinigungen und öffentliche Religionsausübung (Ley de Asociaciones Religiosas y Culto Público, LARCP) geregelt.[2]
Artikel 24 der Verfassung[3], der Elemente aus Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufgreift, besagt: „Jeder hat das Recht auf die Freiheit ethischer Überzeugungen, des Gewissens und der Religion, sowie darauf, sich zu der Religion seiner Wahl zu bekennen bzw. sie anzunehmen. Diese Freiheit schließt das Recht ein, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sowohl öffentlich als auch privat an Zeremonien, Andachten oder gottesdienstlichen Handlungen seiner Gemeinschaft teilzunehmen, sofern diese nicht ein Verbrechen oder Vergehen darstellen, das nach dem Gesetz strafbar ist.“[4] In Artikel 1 des LARCP wird klargestellt, dass auch im Hinblick auf religiöse Überzeugungen niemand „von der Einhaltung der Gesetze des Landes befreit“ ist.[5]
Gemäß Artikel 1 der mexikanischen Verfassung sind alle staatlichen Institutionen verpflichtet, die Menschenrechte zu fördern, zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.[6] Artikel 24 ergänzt, dass „der Kongress keine Gesetze erlassen kann, die eine bestimmte Religion begründen oder abschaffen“.[7]
Artikel 1 verbietet ferner jegliche Diskriminierung aufgrund von ethnischer oder nationaler Abstammung, Geschlecht, Alter, Behinderung, gesellschaftlicher Stellung, Gesundheitszustand, Religion, Ansichten, sexueller Orientierung, Familienstand oder weiterer Faktoren, auf deren Grundlage die Menschenwürde verletzt werden könnte.[8]
Das Bundesgesetz zur Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierung definiert jegliche Versuche, die freie Meinungsäußerung einzuschränken, sowie jede Maßnahme, die darauf abzielt, die Gedanken-, Gewissens- oder Religionsfreiheit sowie religiöse Praktiken oder Bräuche zu behindern, sofern diese nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, als diskriminierend.[9] Diese Definition von Diskriminierung wurde durch eine Gesetzesänderung im Mai 2022 wirksam.[10]
Das LARCP regelt seinerseits verschiedene Aspekte des Lebens religiöser Vereinigungen, wie z. B. ihr Wesen, ihre Gründung und ihre Arbeitsweise (Artikel 6-10), die Beziehungen zu Mitgliedern, Geistlichen und Vertretern (Artikel 11-15), die Eigentumsordnung (Artikel 16-20), öffentliche religiöse Handlungen (Artikel 21-24) und die Beziehungen der Behörden zu religiösen Vereinigungen und deren Tätigkeit (Artikel 25-28), sowie Verstöße gegen das Gesetz und die entsprechenden Sanktionen (Artikel 29-36).[11]
Artikel 130 der Verfassung legt die Trennung zwischen Staat und Kirche fest, die in den Artikeln 1 und 3 des LARCP bekräftigt wird.[12] Dieser säkulare Grundsatz gilt auch für das öffentliche Bildungswesen, das nach Artikel 3 (I) der Verfassung „völlig unabhängig von jeder religiösen Lehre“ zu halten ist.[13]
Um staatliche Einmischung zu vermeiden, ist es den Behörden verfassungsrechtlich untersagt, sich in die internen Angelegenheiten religiöser Vereinigungen (Artikel 130, b) sowie in individuelle oder kollektive religiöse Veranstaltungen einzumischen, es sei denn, dies ist notwendig, um die „Einhaltung der Verfassung, der von Mexiko ratifizierten internationalen Verträge und anderer anwendbarer Gesetze sowie den Schutz der Rechte Dritter zu gewährleisten“ (Artikel 3, LARCP).[14]
Ebenso dürfen Bundes-, bundesstaatliche und Kommunalbeamte „nicht in offizieller Funktion an öffentlichen religiösen Kulthandlungen oder Aktivitäten mit ähnlichen Motiven oder Zwecken teilnehmen“, es sei denn, es handelt sich um diplomatische Praxis (Artikel 25, LARCP).[15]
In Bezug auf die Unabhängigkeit des Staates gegenüber den Religionen heißt es in Artikel 24 der Verfassung: „Niemand darf diese öffentlichen religiösen Handlungen für politische Zwecke, für Wahlkampfzwecke oder als Mittel der politischen Propaganda nutzen.“[16] Artikel 130 (d) der Verfassung verbietet es Mitgliedern des Klerus, ein gewähltes Amt zu bekleiden.[17]
Dieses generelle Verbot steht im Einklang mit den Artikeln 55 (VI) und 58 der Verfassung, die Mitglieder des Klerus davon ausschließen, Abgeordnete oder Senatoren zu werden.[18] Gemäß Artikel 82 (IV) darf kein Geistlicher Präsident Mexikos werden.[19]
Das Verbot wird durch das LARCP bekräftigt, wonach Angehörige des Klerus keine öffentlichen Ämter bekleiden dürfen, obwohl sie „nach Maßgabe der geltenden Wahlgesetze das Wahlrecht besitzen“ (Artikel 14).[20]
Wie die Verfassung (Artikel 130, e) enthält auch das LARCP (Artikel 29, X) weitere verfassungsrechtliche Verbote, die die Trennung von Kirche und Staat betreffen, insbesondere das Verbot für Mitglieder des Klerus, sich zu politischen Zwecken zusammenzuschließen, Propaganda für oder gegen einen Kandidaten, eine Partei oder eine politische Vereinigung zu betreiben oder sich „in öffentlichen Versammlungen gegen die Gesetze des Landes oder seiner Institutionen“ zu wenden.[21]
Ebenso dürfen religiöse Vereinigungen und Angehörige des Klerus keine Telekommunikationskonzessionen besitzen oder verwalten, außer für gedruckte Veröffentlichungen religiösen Charakters (Artikel 16, LARCP).[22]
Darüber hinaus legt Artikel 130 (a) der Verfassung fest, dass nur eingetragene Kirchen und Religionsgemeinschaften Rechtspersönlichkeit besitzen.[23] In Artikel 7 des LARCP sind die Bedingungen und Anforderungen festgelegt, die zu diesem Zweck erfüllt werden müssen: „Wer einen Antrag auf Eintragung einer religiösen Vereinigung stellt, muss nachweisen, dass die Kirche oder religiöse Gruppe: 1. sich hauptsächlich mit der Ausübung und Verbreitung einer religiösen Lehre oder eines Glaubens befasst; 2. seit mindestens fünf (5) Jahren in der Mexikanischen Republik religiöse Tätigkeiten ausübt und in der Bevölkerung gut verwurzelt ist sowie ihren Sitz in der Republik hat; 3. über ein ausreichendes Vermögen verfügt, um ihren Zweck zu erfüllen; 4. über eine Satzung im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 verfügt; und 5. gegebenenfalls die Bestimmungen von Artikel 27 Absatz I und II der Verfassung erfüllt hat.[24]
Nach ihrer Gründung haben religiöse Vereinigungen das Recht, einen exklusiven Namen zu führen, ihre internen Verwaltungs- und Betriebsstrukturen einzurichten, öffentliche Gottesdienste zu feiern und ihre Lehre zu verbreiten sowie Wohlfahrts-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen zu errichten und zu betreiben, sofern diese nicht gewinnorientiert arbeiten (Artikel 9 LARCP).[25]
Artikel 27 (II) der Verfassung erkennt auch die Fähigkeit rechtsgültig gegründeter religiöser Vereinigungen an, Eigentum zu erwerben, zu besitzen oder zu verwalten.[26] Wie die Verfassung (Artikel 130) verweigert jedoch auch das LARCP (Artikel 15) den Mitgliedern des Klerus das Recht, testamentarisch Personen zu beerben, die sie „geistlich geleitet oder unterstützt haben und die nicht Verwandte vierten Grades sind“.[27]
Im Allgemeinen hat die öffentliche Religionsausübung in Gotteshäusern stattzufinden; unter besonderen Umständen ist auch eine Ausübung an anderen Orten möglich (Artikel 24 der Verfassung und Artikel 21 des LARCP). Entsprechende Handlungen müssen mindestens 15 Tage vor dem Termin bei den zuständigen Behörden angemeldet werden.[28] Letztere können diese Handlungen nur „aus Gründen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes, der Sittlichkeit, des Lärms und der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Rechte Dritter“ verbieten (Artikel 22, LARCP).[29]
Besonders hervorzuheben ist die Gewissensfreiheit, die in Artikel 24 der Verfassung verankert ist, da sie für die Gesundheitsversorgung gilt. Artikel 10[30] des Allgemeinen Gesundheitsgesetzes[31] gewährt dem im nationalen Gesundheitsdienst beschäftigten medizinischen und pflegerischen Personal das Recht auf Verweigerung medizinischer Behandlungen aus Gewissensgründen und fügt hinzu, dass eine solche Verweigerung kein Grund für Diskriminierung am Arbeitsplatz sein darf.
Im September 2021 erklärte der Oberste Gerichtshof[32] jenen Artikel jedoch für ungültig, da dieser nicht die notwendigen Grenzen für eine Verweigerung aus Gewissensgründen festlege, ab der die Menschenrechte anderer, insbesondere das Recht auf Gesundheit, gefährdet würden. Vor diesem Hintergrund forderte das Gericht den Kongress auf, die Verweigerung aus Gewissensgründen zu regeln.[33]
Vorfälle und Entwicklungen
Das Centro Católico Multimedial (Katholisches Multimediazentrum, CCM) dokumentiert seit 1990 Gewalttaten gegen Priester, Ordensleute und Einrichtungen der Katholischen Kirche in Mexiko. Seit 2018 veröffentlicht es hierzu Jahresberichte. In den Auswertungen für 2023 und 2024 verzeichnet das Zentrum drei ermordete Priester und fünf Fälle von schwerer Körperverletzung. Insgesamt kam es während der sechsjährigen Amtszeit von Präsident Andrés Manuel López Obrador zu zehn Priestermorden,[34] zehn weiteren Angriffen auf Geistliche sowie rund 900 Fällen von Erpressung, die Mitglieder der Katholischen Kirche betrafen.[35]
Im Jahr 2023 wurde Pater Javier García aus der Gemeinde Capacho in Michoacán erschossen[36], in Jalisco wurde José Angulo Fonseca ermordet, Ermittlern zufolge von seinem eigenen Bruder.[37] Im Februar 2023 wurde Pater Marcelo Pérez kurz nach einer Messe in Chiapas in seinem Auto erschossen. Pater Marcelo war ein indigener Tzotzil und bekannt für seinen Einsatz zur Verteidigung der indigenen Völker.[38] Im Oktober 2024 meldeten die Behörden die Festnahme des mutmaßlichen Täters.[39] Bereits im Januar 2023 war in Chiapas der Pastor der Mount-Zion-Kirche ermordet worden, nachdem er von Erpressungen berichtet hatte.[40]
Auch Laien gerieten ins Visier der Gewalt. Zwei Katechetinnen wurden im Juni 2023 auf dem Weg zu einer eucharistischen Prozession ermordet.[41] Im November 2024 wurden ein Messdiener und sein Bruder, der seiner Mutter bei der Reinigung der Kirche half, bei einer Schießerei in der Nähe der Pfarrkirche Nuestra Señora de Guadalupe in Veracruz getötet.[42] Im Januar 2025 erschossen Unbekannte einen Pilger, der auf dem Weg nach San Juan de los Lagos war und abends sein Zelt aufgeschlagen hatte.[43] Daraufhin forderte die Mexikanische Bischofskonferenz von den Behörden umfassende Aufklärung und mehr Sicherheit.[44] Doch die Serie riss nicht ab: Im März 2025 wurden sieben Jugendliche aus Guanajuato, die einer kirchlichen Gruppe angehörten, von Bewaffneten getötet; Ermittler fanden mehr als 50 Patronenhülsen sowie Einschusslöcher in den Mauern der Kirche.[45]
Nach Einschätzung von Pater Omar Sotelo, dem Direktor des CCM, hat das organisierte Verbrechen in Mexiko eine Kultur der Korruption und des Todes geschaffen. Diese zerstöre das soziale Gefüge, begünstige den Drogenhandel und fördere die drogenbedingte Gewalt.[46]
Im Berichtszeitraum kam es auch zu weiteren schweren Vorfällen: In Durango versuchte ein Mann, Erzbischof Faustino Armendáriz nach der Messe in der Sakristei der Kathedrale niederzustechen.[47] Als Reaktion wurde eine Bürgerkampagne organisiert, die stärkere gesetzliche Schutzmaßnahmen für die Religionsfreiheit verlangte.[48] In Chiapas wurde das Auto von Pater José Filiberto Velásquez, der Konflikte zwischen rivalisierenden Banden öffentlich angeprangert hatte, von mindestens zwei Kugeln getroffen.[49] Auf einer Landstraße überfiel eine bewaffnete Gruppe mehrere wegen Nebels angehaltene Fahrzeuge, darunter auch den Wagen von Bischof Eduardo Cervantes Merino von Orizaba und begleitenden Priestern; die Täter raubten persönliche Gegenstände, einschließlich des Bischofsrings.[50] Auch weitere Bischöfe waren betroffen: Gonzalo Alonso Calzada Guerrero wurde beraubt, gefesselt und an einem Berghang ausgesetzt.[51] In Cancún drangen Bewaffnete in ein Haus der Legionäre Christi ein, in dem Bischof Pedro Pablo Elizondo mit mehreren Priestern lebte.[52] In der Hauptstadt erhielt Pater Abraham Hernández, Pfarrer der Gemeinde Cristo Salvador, Todesdrohungen, weil er kein Schutzgeld zahlte.[53] Die Vielzahl dieser Übergriffe verdeutlicht ein Klima der Straflosigkeit, das kriminellen Organisationen immer wieder Einschüchterungen ermöglicht – insbesondere gegenüber Klerikern, die ihren Forderungen nicht nachgeben.
Die Inter-American Commission on Human Rights (Interamerikanische Menschenrechtskommission, IACHR) forderte die mexikanische Regierung auf, elf Mitgliedern der Jesuitengemeinschaft von Cerocahui im Bundesstaat Chihuahua wirksamen Schutz zu gewähren. Sie befänden sich, so die Kommission, „in einer ernsten und dringlichen Situation infolge von Drohungen und Schikanen durch das organisierte Verbrechen“.[54]
Neben Angriffen auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Geistlichen und Laien kam es im Berichtszeitraum auch zu zahlreichen Fällen von Vandalismus, Verletzungen religiöser Gefühle und erheblichen Behinderungen der Religionsausübung. Nach Angaben des CCM stieg die Zahl der Angriffe auf Gotteshäuser und Schändungen in den vergangenen sechs Jahren so stark an, dass sie mittlerweile im Durchschnitt bei 26 Vorfällen pro Woche liegt.[55]
Die Vereinigung evangelischer Pastoren beklagte zudem, dass Drogenhändler im Bundesstaat Chiapas Schutzgeld in Höhe von 1.500 US-Dollar monatlich forderten, damit Kirchen geöffnet bleiben durften.[56] Solche Drohungen gab es auch in der Hauptstadt.[57] Katholiken wie Evangelikale berichteten gleichermaßen von einer Welle der Gewalt, die sie zwang, Gotteshäuser zu schließen.[58] Die evangelische Gemeinschaft im Bundesstaat Hidalgo erklärte, ihre Leiter seien systematisch schikaniert worden, sodass sie ihre Heimat verlassen mussten. Erst fünf Monate später kehrten sie, nach einer Vereinbarung zwischen staatlichen und kommunalen Behörden, an ihre Herkunftsorte zurück.[59]
Auch Fälle von Entweihung mehrten sich: In der Pfarrei Santa María Magdalena in Kino (Sonora) wurden Heiligenbilder zerstört[60]; im Heiligtum des Señor de la Cosecha in Jiutepec wurde das Allerheiligste gestohlen[61]; die Kirche Santiaguito in Iruapato (Guanajuato) fiel einem Brandanschlag zum Opfer[62]; maskierte Täter fesselten einen Priester und raubten die Pfarrei San Luis Gonzaga in Mexiko-Stadt aus, wobei sie silberne liturgische Gefäße entwendeten.[63] In der Pfarrei Verbo Encarnado in Ciudad Frontera (Coahuila) stahlen Einbrecher mehrere Gegenstände und schändeten das Allerheiligste.[64] Aus der Pfarrei San Felipe de Jesús im Erzbistum San Luis Potosí wurden Kelche, Ziborien mit Edelsteinen sowie Videoüberwachungskameras entwendet.[65] Ein evangelikaler Pastor aus den USA zerstörte während einer Predigt mit einer Axt ein Bild der Jungfrau von Guadalupe.[66] In Culiacán (Sinaloa) schließlich drang ein Mann während der Messe in die Espíritu-Santo-Kirche ein, zerstörte mehrere religiöse Bilder und schändete die Eucharistie.[67]
Im Dorf Santa Anita in Guachochi (Chihuahua) kam bei einem Zusammenstoß zwischen rivalisierenden Banden ein Mann ums Leben. Die Kirche wurde von Hunderten Schüssen getroffen, während es einem Priester gelang, drei im Kreuzfeuer gefangene Kinder in Sicherheit zu bringen.[68] Der Sprecher des Erzbistums San Luis Potosí äußerte sich besorgt über die fortgesetzten Angriffe auf Kirchen im historischen Zentrum der Stadt und die allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit.[69] In Veracruz drangen Mitglieder der Nationalgarde während der Sonntagsmesse in die Sagrado-Corazón-Pfarrei ein, als sie einen Migranten verfolgten, der in die Kirche geflüchtet war.[70]
Wie bereits in früheren Berichtszeiträumen kam es am Internationalen Frauentag, dem 8. März, erneut zu Demonstrationen, die von Akten des Vandalismus begleitet waren. Dabei wurden öffentliches und privates Eigentum beschädigt, darunter auch katholische Kirchen, die mit Graffiti besprüht oder anderweitig beschädigt wurden – unter anderem in Oaxaca, Durango, Aguascalientes, Monterrey, León und Puebla. In Mexiko-Stadt entzündeten Demonstrierende Feuer vor der Kathedrale und warfen Feuerwerkskörper über die Schutzbarrieren, die um das Gebäude errichtet worden waren.[71]
Evangelikale und säkulare Medien berichteten zugleich aber auch von Schikanen durch Katholiken: Im Dezember 2022 wurde in Hidalgo eine baptistische Frau von Gemeindevorstehern an einen Baum gebunden und geschlagen, um die Baptisten daran zu hindern, ihr Land zu bewirtschaften.[72] In Oaxaca wurde eine evangelikale Kirche in Brand gesteckt, nachdem kirchliche Autoritäten sich geweigert hatten, eine Abgabe im Zusammenhang mit einem Patronatsfest zu zahlen. Die Gemeinde beschuldigte anschließend die Stadt, eine Baugenehmigung für den Wiederaufbau verweigert zu haben, weil es sich um ein katholisch geprägtes Gebiet handele.[73] In Chiapas wurde ein Haus niedergebrannt, nachdem versucht worden war, dort eine evangelikale Kirche zu errichten. Die lokale, überwiegend indigene Bevölkerung praktizierte traditionell Katholizismus in Verbindung mit indigenen Glaubensformen; viele Indigene sind jedoch in jüngerer Zeit zum evangelikalen Glauben übergetreten.[74] Im Bundesstaat Oaxaca wurden mindestens 500 Evangelikale aus ihren Dorfgemeinschaften vertrieben, weil sie sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören.[75] Konvertiten zu nichtkatholischen christlichen Gemeinschaften berichten, dass sie Ziel von Angriffen seien; Polizei und Armee mussten mehrfach eingreifen, um die Konflikte einzudämmen.[76] Diese Vorfälle gegen evangelikale Gemeinschaften veranlassten das Parlament von Oaxaca schließlich, die Kommunen aufzufordern, entschieden gegen Intoleranz vorzugehen und Programme zur Förderung des Respekts vor religiösen Überzeugungen umzusetzen.[77]
Im Berichtszeitraum befasste sich der Oberste Gerichtshof Mexikos mehrfach mit Fragen der Religionsfreiheit. Drei Klagen richteten sich gegen Städte im Bundesstaat Yucatán mit dem Ziel, die Verwendung öffentlicher Gelder für Weihnachtskrippen zu untersagen. Die Kläger argumentierten, dies verstoße gegen die Prinzipien eines säkularen Staates. Das Verfahren löste eine breite Debatte aus.[78] Am Ende zog einer der Kläger die Klage zurück, und das Gericht hat bislang lediglich Entwurfsentscheidungen zu dem Thema veröffentlicht.[79] Die Katholische Kirche beteiligte sich an der Diskussion und rief dazu auf, die Religionsfreiheit zu achten.[80] Kontroversen gab es auch über Änderungen der staatlichen Schulbücher für die Primarstufe, die im Rahmen des von Präsident López Obrador eingeführten Plans der „Neuen Mexikanischen Schule“ kostenlos verteilt werden. Die Bücher enthalten Elemente von Gender-Ideologie und marxistisch-sozialistischen Prinzipien, denen viele Eltern widersprachen. Kritisiert wurde zudem, dass die Inhalte ohne Beteiligung und vorherige Konsultation verschiedener Akteure aus dem Bildungsbereich geändert wurden, obwohl das Bildungsgesetz eine solche Einbindung vorschreibt.[81]
Gerichte entschieden zudem zugunsten der Diözese Querétaro, die den Antrag einer Transperson ablehnte, das Geschlecht im Taufregister zu ändern, „um die Behauptung, eine Frau anstatt eines Mannes zu sein, zu berücksichtigen“. Das Urteil wurde als Anerkennung der Autonomie religiöser Organisationen gewertet.[82]
Das Wahlgericht fällte weitere Entscheidungen: Es erklärte, dass die „Santa Muerte“ – die Darstellung eines Skeletts, das der Gottesmutter nachempfunden ist und als Teil eines satanischen Kults gilt – kein religiöses Symbol darstellt und ihr Einsatz in Wahlpropaganda daher nicht gegen das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche verstößt.[83] Zugleich befand es, dass Aussagen von Kardinal Juan Sandoval den Wahlprozess beeinflusst und damit die Trennung verletzt hätten. Der Kardinal hatte in einem Video erklärt: „Wenn die Machthaber gewinnen, kommt der Kommunismus.“[84]
Das Wahlinstitut von Tamaulipas sprach außerdem eine Rüge gegen einen Priester aus, weil er zum Auftakt des Wahlkampfs eine Messe gefeiert und damit das Prinzip des Säkularismus verletzt habe.[85]
Im April 2025 schließlich stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass das Recht auf Religionsfreiheit nicht absolut ist, sondern durch die Verfassung begrenzt wird, soweit es Praktiken betrifft, die als Straftaten eingestuft sind. Grundlage der Entscheidung war der Fall einer Priesterin der „kubanischen Santería“, die vor Gericht versucht hatte, rituelle Praktiken durchzusetzen, die als schädlich für Tiere gelten.[86]
Im November 2023 bat der damalige Präsident Andrés Manuel López Obrador um ein Treffen mit der Bischofskonferenz, um die Probleme des Landes zu erörtern.[87] Im April 2024 machten Bilder die Runde, die T-Shirts mit einem der „Santa Muerte“ ähnlichen Bild und Slogans zur Unterstützung López Obradors zeigten. In seiner Reaktion schien der Präsident diese Aktion als Ausdruck religiöser Freiheit von Bürgern zu billigen. Er betonte, jeder habe das Recht, eine Religion zu haben oder nicht zu haben, und man müsse die Gläubigen respektieren.[88] Die Katholische Kirche brachte dagegen ihre Sorge über den Kult um die „Santa Muerte“ sowie über die Narco-Kultur zum Ausdruck, die sie als Triebkräfte der Gewalt und einer „Kultur des Todes“ ansieht.[89] Wenige Tage später warf der ehemalige Präsident Kardinal Juan Sandoval vor, 2006 die Vereinigten Staaten um Einmischung in den Präsidentschaftswahlkampf gebeten zu haben, um seinen Machtantritt zu verhindern.[90] Im Oktober 2024 erklärte die neu gewählte Präsidentin Claudia Sheinbaum in ihrer ersten Botschaft, ihre Regierung respektiere sowohl die Pressefreiheit als auch die Religions- und sexuelle Freiheit.[91]
Demgegenüber erließ das Bildungssekretariat von Veracruz auf Antrag des Evangelikalen Netzwerks eine Anweisung, die Schüler aus evangelikalen Familien von der Teilnahme an den Feierlichkeiten zum Tag der Toten ausnahm. Die Feiern haben in Mexiko Tradition, allerdings nicht in der evangelikalen Gemeinschaft.[92]
Formen populärer Religiosität im öffentlichen Raum sind in Mexiko weiterhin stark präsent. In Oaxaca wird der Tag der Samariterin gefeiert, an dem junge Frauen verkleidet Wasser aus mit Blumen geschmückten Ständen verteilen.[93] Die Karwoche wird in zahlreichen Städten des Landes traditionsreich begangen. In San Luis Potosí und Guerrero finden Schweigeprozessionen[94] statt, und Ende Januar pilgern Zehntausende junge Menschen zum Monument Cristo Rey in Guanajuato[95] – 2024 stand diese Wallfahrt unter dem Motto Religionsfreiheit.[96] Die größte Feier des Landes ist alljährlich die Wallfahrt zur Basilika von Guadalupe am 12. Dezember, die 2024 mehr als 12 Millionen Menschen an diesem Tag besuchten.[97]
Die Katholische Kirche spielt in Mexiko eine bedeutende Rolle auf gesellschaftlicher und kommunaler Ebene. Angesichts zunehmender Gewalt, Korruption und Straflosigkeit riefen die Bischofskonferenz, die Konferenz der Ordensoberen, die Jesuitenprovinz sowie eine Laienvereinigung zu Ostern 2023 zu einem Nationalen Friedensdialog auf, der im September an der Universität von Puebla stattfinden sollte. Gemeinsam legten sie eine Initiative an die Behörden und an die Nation vor.[98] Im Jahr 2024 vermittelte die Kirche in Gesprächen, die zu einem Waffenstillstand zwischen Drogenkartellen im Bundesstaat Guerrero führten – einer Region, die besonders stark von Gewalt betroffen ist.[99] Nach der Erschießung von sechs Migranten durch die Armee im Oktober 2024 zeigte sich das Erzbistum Mexiko solidarisch mit den durch das Land ziehenden Migranten auf ihrem Weg in die USA und bot ihnen alternative Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten an. Gerade dieses Engagement macht die Kirche zu einem Ziel krimineller Organisationen, die in Menschenhandel und andere illegale Aktivitäten verwickelt sind.[100]
Im März 2025 äußerte die Bischofskonferenz tiefe Besorgnis über die Entdeckung eines Vernichtungslagers eines Drogenkartells, in dem offenbar die Leichen von rund 200 verschwundenen Personen verbrannt worden waren. Sie bot ihre Unterstützung an, um Dialog und Zusammenarbeit für den Wiederaufbau des sozialen Gefüges zu fördern.[101] Zugleich prangerte sie die anhaltende Gewalt und die allgegenwärtige Präsenz des organisierten Verbrechens in der Gesellschaft an, ebenso wie die Straflosigkeit, mit der Gewalttaten begangen werden.[102]
Die Bischofskonferenz erklärte nach der Entdeckung dieses Vernichtungs- und Ausbildungslagers, es gebe zahlreiche ähnliche Einrichtungen im Land. Solche Funde seien ein Beleg für die „verantwortungslose Vernachlässigung durch Regierungsvertreter“ in Bezug auf eines der drängendsten Probleme des Landes: das Verschwinden von Menschen.[103]
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Die Lage in Mexiko bleibt düster: Geistliche wie Laien werden ermordet, Übergriffe, Erpressungen und die Schändung von Gotteshäusern und heiligen Objekten gehören zum Alltag – und all dies wird durch ein Klima offener Straflosigkeit noch verschärft. Organisiertes Verbrechen, Drogenhandel, Landkonflikte und Korruption dauern unvermindert an. Andere Berichte kommen zu dem Schluss, dass Mexiko zu den gefährlichsten Ländern der Welt für seelsorgerisches Wirken zählt. Wo der Staat nicht handelt und ganze Regionen unter der Kontrolle des organisierten Verbrechens stehen, erheben religiöse Führungspersönlichkeiten ihre Stimme gegen die Gewalt und übernehmen die Rolle von Beschützern ihrer Gemeinschaften. Gerade dadurch werden sie zu Zielscheiben von Kriminellen, die Angst verbreiten und die Bevölkerung zum Schweigen bringen wollen, um ungehindert Waffen und Drogen schmuggeln zu können. Die Spannungen, die sich in einem offiziell säkularen, aber stark religiös geprägten Land ergeben, zeigen sich häufig in Diskussionen und Entscheidungen auf der Ebene der Exekutive, der Legislative und der Judikative. Forderungen einer Trennung von Kirche und Staat gehen häufig mit Misstrauen gegenüber allen Maßnahmen oder Entscheidungen einher, die die spirituelle und/oder religiöse Dimension der Menschen anerkennen. Die ohnehin schon schlechten Zukunftsaussichten haben sich durch die Veränderungen in der Regierung und in der Justiz, die die Straffreiheit begünstigen und Kriminelle in ihrem Tun ermutigen, noch weiter eingetrübt.
Viele Mexikaner beklagen, dass ihr Recht auf ein Leben in Frieden und Sicherheit durch die unerwartete, stillschweigende Zusammenarbeit zwischen kriminellen Banden und der Regierung untergraben wird. Das Ergebnis ist eine Spirale der Gewalt, die der Bevölkerung selbst grundlegender Menschenrechte beraubt – einschließlich des Rechts auf Religionsfreiheit.
Quellen