Lateinamerika und die Karibik
Der Zeitraum 2023–2024 war in Lateinamerika und der Karibik von deutlichen Spannungen zwischen verfassungsrechtlichen Garantien einerseits und den politischen, sozialen und kulturellen Realitäten in der Region andererseits geprägt. Auch die Religions- und Weltanschauungsfreiheit war von diesen Spannungen betroffen. So bleibt das Christentum zwar nach wie vor die vorherrschende Religion, doch bedrohen zahlreiche Faktoren – darunter organisierte Kriminalität, schwache staatliche Institutionen, restriktive rechtliche Rahmenbedingungen und ideologische Spannungen – die Ausübung dieses Grundrechts.
Gewalt gegen religiöse Führer und Vandalismus
In den Jahren 2023 und 2024 wurden mindestens 13 religiöse Führungspersonen in Mexiko, Kolumbien, Ecuador, El Salvador, Guatemala und Honduras ermordet. Weitere 16 Missionare und Laien kamen im seelsorgerischen Einsatz in Ecuador, Haiti, Honduras und Mexiko ums Leben. Hinzu kommt der Tod von neun weiteren Laien in Mexiko Anfang 2025. Auch wenn nicht all diese Verbrechen eindeutig von Hass gegen den Glauben motiviert waren, spiegeln sie doch die prekäre Sicherheitslage in konfliktbelasteten und instabilen Regionen wider. Religiöse Führungspersönlichkeiten nehmen in ihren Gemeinden eine zentrale Rolle ein und werden aufgrund ihres Einflusses zu Zielscheiben von Angriffen und Einschüchterungsversuchen. Ähnlich ergeht es jenen, die autoritäre Regime öffentlich kritisieren – auch sie gelten als Bedrohung und sind Repressalien ausgesetzt. In Haiti wurden mindestens 19 Priester und Ordensangehörige entführt; zwei Ordensschwestern wurden im Jahr 2025 getötet.
Angriffe, Schändungen und symbolische Gewalt gegen Gotteshäuser wurden aus Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Kuba, Haiti, Mexiko, Nicaragua, Panama, Peru, der Dominikanischen Republik, Uruguay und Venezuela gemeldet. In anderen Ländern hingegen nahm die Häufigkeit solcher Vorfälle ab, ebenso wie die Zahl der Fälle von Verletzungen religiöser Gefühle.
Einige Länder verfügen über Meldestellen oder Hinweisgebernetzwerke, die die Erfassung und Dokumentation derartiger Vorfälle erleichtern. Nach Angaben der kubanischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden während des Berichtszeitraums 996 Verstöße gegen die Religionsfreiheit in Kuba registriert. In Brasilien können Bürger über die Hotline „Dial 100“ Menschenrechtsverletzungen anzeigen. Allein im Jahr 2023 wurden 2.124 Beschwerden im Zusammenhang mit religiöser Intoleranz eingereicht, größtenteils von Anhängern afrobrasilianischer Religionen. In Nicaragua dokumentieren das Kollektiv Nunca Más, die Juristin Martha Patricia Molina Montenegro und die NGO Monitoreo Azul y Blanco religiöse Verfolgung. In Mexiko übernimmt das Centro Católico Multimedial die systematische Erfassung von Gewalt gegen Priester, Ordensleute und kirchliche Einrichtungen.
Seit Beginn des Konflikts zwischen Israel und der Hamas im Oktober 2023 kam es in mehreren Ländern der Region zu einer Zunahme antisemitischer Äußerungen – darunter Hakenkreuz-Schmierereien, Drohungen gegen jüdische Gemeinden sowie Angriffe auf jüdische Denkmäler und Einrichtungen, insbesondere in Großstädten und den sozialen Medien.
In Brasilien berichten Anhänger afrobrasilianischer Religionen wie Umbanda und Candomblé über Diskriminierung, religiöse Intoleranz und Angriffe auf ihre Kultstätten.
Drogenhandel und organisierte Kriminalität
Der Drogenhandel hat sich zu einer der gravierendsten Bedrohungen für die Religionsfreiheit in der Region entwickelt. Inmitten der gewaltsamen Auseinandersetzungen rivalisierender Kartelle und der Abwesenheit staatlicher Ordnung übernehmen religiöse Führungspersonen häufig eine Schutz- und Mittlerfunktion in den von kriminellen Banden beherrschten Gebieten – ein Umstand, der sie besonders angreifbar macht. Auch wenn es keine Hinweise auf eine systematische Verfolgung aus religiösen Motiven gibt, sind Kirchen und Geistliche zunehmend Opfer struktureller Gewalt, was ihr seelsorgerisches Handeln einschränkt und ihre Sicherheit gefährdet.
Im Berichtszeitraum setzten kriminelle Organisationen verstärkt Kontrollmechanismen gegenüber Kirchen und Geistlichen ein – etwa in Form von Schutzgelderpressung oder durch die Anordnung von Verhaltensmaßregeln. In Mexiko forderten Kartelle unter dem Vorwand des „Schutzes“ vor rivalisierenden Banden Zahlungen von Kirchen und Geistlichen. In Venezuela hat eine kolumbianische Guerillagruppe de facto die Kontrolle über mehrere Gemeinden entlang der Grenze übernommen und zwingt die religiösen Führer, eine Erlaubnis für die Abhaltung von Messen, Prozessionen und anderen seelsorgerischen Aktivitäten einzuholen. Dabei müssen die Betroffenen Einschränkungen in Bezug auf Termine, Reisen und die Nutzung von Gebetsstätten hinnehmen. Diese Praxis stellt eine gravierende Verletzung der Religionsfreiheit dar und unterwirft die Betroffenen der Willkür illegaler bewaffneter Gruppen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen.
Besorgniserregend ist auch die Ausbreitung des sogenannten Santa-Muerte-Kults, der mit Aktivitäten krimineller Gruppen in Verbindung gebracht wird und in Ecuador, Guatemala und Mexiko besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. In Ecuador räumten Soldaten im Rahmen des Ausnahmezustands einen illegalen Altar des Kults. In Guatemala wird der Kult mit gewalttätigen Banden in Verbindung gebracht, die für Morde und Erpressungen verantwortlich gemacht werden. In Mexiko hat die Katholische Kirche den Kult als Ausdruck einer durch den Drogenhandel befeuerten Kultur der Gewalt verurteilt.
Gesetzliche Einschränkungen religiöser Aktivitäten
Im Berichtszeitraum verschärften Kuba, Nicaragua und Venezuela bestehende Regelwerke, um die staatliche Kontrolle über religiöse Aktivitäten auszuweiten – insbesondere gegenüber nicht offiziell registrierten Gemeinschaften, die dadurch einem erhöhten Risiko der Kriminalisierung ausgesetzt sind.
In Kuba trat im Dezember 2022 ein neues Strafgesetzbuch in Kraft, das die Teilnahme an nicht genehmigten Vereinigungen unter Strafe stellt – mit unmittelbaren Auswirkungen auf nicht anerkannte Evangelikale Kirchen. Darüber hinaus wurde der Begriff des „Missbrauchs der Religionsfreiheit“ eingeführt und das Recht von Eltern eingeschränkt, ihre Kinder in einem religiösen Umfeld zu erziehen. Weitere Regelungen, etwa das Staatsbürgerschafts- und das Ausländergesetz, ermöglichen Sanktionen aus ideologischen Gründen. Regierungsverordnungen regulieren zudem streng die Nutzung von Gebetsstätten – auch wenn diese sich in Privatbesitz befinden.
In Nicaragua ermöglichen neue Gesetze dem Staat, Staatsangehörigen die Nationalität zu entziehen, sofern sie als „Verräter“ eingestuft werden. Hiervon waren auch religiöse Führungspersonen betroffen. Weitere Vorschriften unterwerfen Wohltätigkeitsorganisationen und religiöse Gruppen einer umfassenden politischen Kontrolle, verpflichten sie zur Registrierung und beschränken die internationale Zusammenarbeit, was ihre Autonomie erheblich untergräbt.
In Venezuela verpflichtet ein im Jahr 2024 verabschiedetes Gesetz nichtstaatliche Organisationen zur Offenlegung ihrer Finanzierungsquellen. Das betrifft insbesondere jene Gruppen, die auf Mittel aus dem Ausland angewiesen sind – auch zahlreiche kirchliche Einrichtungen.
Säkularismus, staatliche Neutralität und ideologische Spannungen
In mehreren Ländern der Region nahmen die Spannungen rund um das säkulare Selbstverständnis des Staates zu – zum Teil mit widersprüchlichen Urteilen der Gerichte. In Kolumbien ordnete das Verfassungsgericht die Entfernung eines Marienbildes aus einem öffentlichen Gebäude an und berief sich dabei auf die religiöse Neutralität des Staates. In Costa Rica hingegen gestattete das dortige Verfassungsgericht die Wiederanbringung eines Kruzifixes in einem Krankenzimmer, mit der Begründung, dessen Präsenz sei Ausdruck des Rechts auf Religionsfreiheit.
In Mexiko befasste sich der Oberste Gerichtshof mit Beschwerden über Weihnachtskrippen im öffentlichen Raum im Bundesstaat Yucatán. Die Kläger sehen darin einen Verstoß gegen das Gebot staatlicher Neutralität; eine abschließende Entscheidung steht noch aus.
Die IACHR und die Diskussion über interamerikanische Standards
Im Februar 2024 veröffentlichte die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IACHR) eine Studie zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Diese löste Kontroversen aus, da sie die Religionsfreiheit potenziell als Hindernis für andere Rechte darstellte – insbesondere im Zusammenhang mit Nichtdiskriminierung, reproduktiver und sexueller Gesundheit sowie Geschlechterdiversität. Religiöse Ausdrucksformen, die der Agenda der Kommission widersprechen, könnten demnach als Hassrede interpretiert werden.
Zwei der sieben Kommissionsmitglieder stimmten gegen den Bericht und kritisierten eine ideologische Ausrichtung, die über das Mandat der IACHR hinausgehe. Mehrere religiöse Institutionen, darunter die Katholische Universität Nuestra Señora de la Asunción in Paraguay, äußerten ihre Besorgnis über den säkularistischen Grundton des Berichts und über die Gefahr einer Kriminalisierung traditioneller religiöser Überzeugungen.
Gleichzeitig setzte die IACHR ihre Beobachtung schwerer Verletzungen der Religionsfreiheit in der Region fort. Im Januar 2023 sprach sie elf Mitgliedern der Jesuitengemeinschaft von Cerocahui im mexikanischen Bundesstaat Chihuahua vorsorgliche Schutzmaßnahmen zu, da diese durch Bedrohungen und Einschüchterungen durch kriminelle Organisationen in einer ernsthaften und dringlichen Gefährdungslage seien. In Nicaragua prangerte die Kommission die massenhafte Schließung zivilgesellschaftlicher Organisationen – darunter auch religiöse Einrichtungen – an und äußerte sich besorgt über religiöse Verfolgung, willkürliche Verhaftungen, Repressionen sowie die Haftbedingungen der Inhaftierten. Darüber hinaus gewährte sie zehn Mitgliedern der Mountain Gateway Church, die unter besonders harten Bedingungen inhaftiert waren, neue vorsorgliche Maßnahmen.
Im Fall von Pater Marcelo Pérez hingegen blieben die Schutzmaßnahmen der IACHR ohne Wirkung: Er wurde im Oktober 2024 im mexikanischen Bundesstaat Chiapas erschossen. Die Täter wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen.[1]
Nicaragua
Im Berichtszeitraum kam es zu einer deutlichen Eskalation staatlicher Repression gegenüber Kirchen und religiösen Gemeinschaften, von willkürlichen Verhaftungen über Ausweisungen, erzwungenem Exil und dem Entzug der Staatsangehörigkeit bis zur Untersagung öffentlicher Gottesdienste und dem massenhaften Entzug der Rechtspersönlichkeit konfessioneller Einrichtungen. Zugleich wurden durch Verfassungsreformen und neue Regelwerke gesetzliche Instrumente geschaffen, mit denen das Regime die Kontrolle über religiöse Organisationen ausbauen konnte. Mehrere internationale Organisationen führen Nicaragua inzwischen als eines der Länder mit der schwerwiegendsten religiösen Verfolgung in der Region.
Kuba
Obwohl der kubanische Staat religiöse Gemeinschaften offiziell anerkennt, bleibt die Kontrolle über deren Aktivitäten umfassend – darunter auch Einschränkungen der sozialen Hilfsangebote evangelikaler Kirchen sowie eine Verschärfung der Gesetzgebung. Die Katholische Bischofskonferenz in Kuba bezeichnete die Lage als die prekärste der letzten Jahrzehnte. Sie stellte fest, das Land durchlaufe „eine der schwierigsten Phasen seiner Geschichte“ und ergänzte: „Unsere Gemeinden und Seelsorger tragen die allgemeine Erschöpfung des Alltagslebens in Kuba mit. Der Wert, den die bei uns immer stärker werdende Pluralität des Denkens, der Meinungen und Ideen für unser Land haben könnte, wird nicht ausreichend gewürdigt.“
Venezuela
Die politische Krise in Venezuela hat sich weiter verschärft. Menschenrechtsverletzungen nehmen zu, ebenso wie die Instrumentalisierung religiöser Überzeugungen durch den Staat. Initiativen wie „Mi Iglesia Bien Equipada“ (Meine gut ausgestattete Kirche) und andere Unterstützungsleistungen für Glaubensgemeinschaften werden als Förderung des spirituellen Lebens präsentiert, könnten jedoch wahlstrategisch motiviert sein und die Unabhängigkeit religiöser Gemeinschaften gefährden. Diese Entwicklung wird durch einen Rechtsrahmen begünstigt, der dem Regime weitreichende Befugnisse zur Sanktionierung von Kritik einräumt. Während der Wahlperiode 2024 gab es Berichte über die Überwachung oder Einschüchterung von religiösen Führern durch staatliche Stellen. Ein Pastor sagte, die Regierung biete den Kirchen, die sie unterstützten, Vergünstigungen an, bestrafe aber diejenigen, die sie ablehnten.
Mexiko
Mexiko zählt weiterhin zu den gefährlichsten Ländern der Welt für religiöse Führungspersönlichkeiten. Fünf der 13 Morde an Geistlichen in der Region zwischen 2023 und 2024 ereigneten sich in Mexiko. Darüber hinaus sind zahlreiche religiöse Akteure insbesondere dort, wo die Kirche soziale oder humanitäre Aufgaben übernimmt, von Erpressung und Bedrohungen durch das organisierte Verbrechen betroffen. In Regionen wie Chihuahua hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IACHR) sogar Schutzmaßnahmen für die Seelsorgearbeit angeordnet.
Haiti
Haiti befindet sich in einem Zustand des institutionellen Zusammenbruchs und kann inzwischen als gescheiterter Staat bezeichnet werden. Dauerhafte Unsicherheit, der Kollaps des Gesundheitssystems und eine akute Ernährungskrise haben zu einer extremen Gefährdungslage geführt. Bewaffnete Banden kontrollieren weite Teile des Staatsgebiets und etablieren ein System aus Gewalt und Einschüchterung, das die Bevölkerung in ständiger Angst hält. Kirchen, Glaubensgemeinschaften und deren Vertreterinnen und Vertreter sind regelmäßig Ziel von Entführungen und Erpressungen.
Erzwungene Migration
Die massive Migration innerhalb der Region hat auch Auswirkungen auf die Religionsfreiheit. Viele Geflüchtete verlieren den Kontakt zu ihren Glaubensgemeinschaften und finden in Transitländern häufig keine Bedingungen vor, um ihre Religion frei auszuüben. Veranstaltungen wie die Versammlung des Clamor-Netzwerks[2] (Bogotá, 2024) haben die Verantwortung der Kirchen für Migranten hervorgehoben und vor religiöser Diskriminierung bei der Ankunft gewarnt. In Mexiko konzentriert sich die Katholische Kirche auf seelsorgerische Hilfe in Flüchtlingsunterkünften und Grenzregionen – oft unter äußerst schwierigen und unsicheren Bedingungen.
[1] UNHCR, „ONU-DH insta a investigar el asesinato del sacerdote y defensor indígena de los derechos humanos, Marcelo Pérez Pérez“, 20. Oktober 2024,https://hchr.org.mx/comunicados/onu-dh-insta-a-investigar-el-asesinato-del-sacerdote-y-defensor-indigena-de-los-derechos-humanos-marcelo-perez-perez/ (abgerufen am 5. August 2025).
[2] Fr Dionisio Baez, O de M., „Escuchamos el clamor de aquellos que lloran sangre“: Ante un panorama tan duro, resuena la voz de Dios“, Religión Digital, https://www.religiondigital.org/america/asamblea-red-clamor-bogota-migracion_0_2712628720.html (abgerufen am 2. August 2025).